„In diesem Jahrzehnt werden weltweit mehr Informations- und Kommunikationstechnologien(IKT) im Gesundheitswesen installiert, als in dem gesamten Zeitraum zuvor“, postulierte der australische Professor für Medizininformatik E. Coiera in dem 2011 veröffentlichen Artikel The dangerous decade. Er führte weiter aus, dass „die Systeme größer und komplexer werden und sich zunehmend von einem regionalen zu einem nationalen, ja wenn nicht sogar supernationalen Rahmen entwickeln“.
Aber warum ist das den nun gefährlich? Coiera spricht von einem Paradoxon zwischen IKT und der Patientensicherheit: zwar kann die Technologie die Sicherheit erhöhen, gleichzeitig bringt sie aber auch neue Gefahrenquellen mit sich, zum Beispiel Technologie-induzierte Fehler oder soziotechnische Aspekte. Die Zahl der schwerwiegenden Schäden die durch den Einsatz von IKT im Gesundheitswesen auftreten sind relativ gering, aber wenn mehr IKT zum Einsatz kommt, werden als Konsequenz auch die Anzahl der Schäden steigen und deutlicher in den Vordergrund treten. Coiera vermutete, dass das Verhältnis zwischen IKT-Nutzung und auftretenden Fehlern nicht proportional ist, sondern Schäden eher überproportional auftreten könnten. Begründet hat er dies damit, dass bestehende IKT intensiver genutzt werden wird, neue komplexere Systeme implementiert werden und die Zahl der (Erst-)Nutzer steigen wird.
Statt ernsthaften Anstrengungen dieser Entwicklung entgegen zu wirken, beobachtete Coiera vielmehr Kostendruck und ehrgeizige Zeitpläne bei der Implementierung von IKT im Gesundheitswesen, die das auftreten von Fehlern weiter begünstigen könnten.
Schwarzmalerei? Panikmache? Die übliche Technikfeindlichkeit? Mitnichten. Coiera ist kein Verfechter von Health IT. Er ist vielmehr ein Insider und möchte weitere Bauchlandungen verhindern.
Ein vernetztes, IT-gestütztes Gesundheitswesen auf die Beine zu stellen ist die letzte große Herausforderung im e-Health Bereich. Wir laufen Gefahr, fieberhaft nach (rein) technischen Lösungen zu suchen. Werden diese dann übereilig implementiert und soziotechnische Aspekte nicht berücksichtigt, wird Coiera recht behalten.
Der Artikel ist nun knapp 2 Jahre alt, wir befinden uns am Ende des 3. Jahres dieser „gefährlichen Dekade“ und sind somit schon mitten drin. Ich habe mich gefragt, wie wohl Coiera die aktuelle Situation einschätzen, würde. Tut sich was oder alles beim Alten?.
Persönlich habe ich den Eindruck, dass der Vormarsch von IKT im Gesundheitswesen , vor allem in Europa, sich aktuell entschleunigt hat, wenn nicht sogar stockt. Grund dafür ist sicherlich nicht, dass sie alle The dangerous decade gelesen haben, sondern dass die Probleme zunehmend offensichtlich werden. Als schmerzliches Beispiel sei dass gescheiterte Connecting for Health Projekt aus Großbritannien genannt.
Auch die in Deutschland geplanten E-Health Aktivitäten liegen weit hinter ursprünglichen Planungen. Man überdenkt, fährt zurück und backt lieber erst mal kleine Brötchen. Und das ist auch gut so.
(Weiterführender Link: Trends in Health Information Technology Safety: From Technology-Induced Errors to Current Approaches for Ensuring Technology Safety [PDF])