Das Taschenmesser im Handgepäck und der Fotoapparat im Krankenhaus

In einer Notaufnahme eines deutschen Universitätskrankenhauses hat sich eine Handvoll Pflegekräfte zu einer großen Dummheit hinreißen lassen: sie fotografierten sich zusammen mit verwirrten Patienten. Nach dem Bericht der Aachener Zeitung haben sie dafür die Patienten auch geschminkt oder verkleidet und die „Selfies“ dann über WhatsApp untereinander ausgetauscht. Irgendjemand war das zu bunt und hat anonym die Klinikleitung informiert. Diese reagierte umgehend und kündigte die Pfleger fristlos. Zwar hat die Klinikleitung von einer Strafanzeige abgesehen, aber die Staatsanwaltschaft hat sich mittlerweile eingeschaltet und ermittelt ob dies als Straftat zu werten sei, zum Beispiel Nötigung oder Beleidigung.

Eine neue Dimension

Respektlosigkeiten gegenüber Patienten von Seiten des medizinischen Personals passieren jeden Tag hundert- wenn nicht tausendfach in Deutschland.

Der knallharte Arztroman: Samuel Shem´s „House of God“. Der Patient wurde zum GOMER (Get Out of My Emergency Room)

Es wird gewitzelt, gefrotzelt, bevormundet und verarscht. Meist unterschwellig, leider aber nicht selten auch sehr offen und direkt. Ich weiß wovon ich rede: ich habe 13 Jahre lang im weißen Kittel im deutschen Gesundheitssystem gearbeitet.
Zwar überspitzt, aber im Kern realistisch, sei auf den Klinikroman  „House of God“ verwiesen.

Nun kommt aber ein neuer, Aspekt hinzu: Smartphones stecken in jeder Kitteltasche – und dadurch auch eine Kamera. Respektlosigkeit oder Angriff auf die Würde kann nicht nur verbal, sondern auch durch digitale Medien erfolgen.

Früher wurde gegafft, heute wird gefilmt

Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung: passierte früher irgendwo ein Unfall, beklagten sich die Rettungskräfte, dass ihre Arbeit durch einen Pulk von „Gaffern“ behindert wurde, heutzutage wird zunehmend nicht mehr nur selber geschaut, sondern gleich mitgefilmt. Man bedenke: noch vor 10 Jahren hatte man, wenn man nicht gerade im Urlaub war, im Allgemeinen keine Fotoapparat, geschweige den einen Camcorder (so hieß das damals) dabei.

Hemmschwelle sinkt unter Null

Wir alle fotografieren und filmen mittlerweile so viel, dass sich immer seltener jemand darüber aufregt, wenn man ungefragt fotografiert wird. Fotografieren, gerade mit dem Smartphone,  ist zunehmend „erlaubt“ oder „geduldet“. Paradoxerweise haben die Bilder heutzutage eine viel höhere Reichweite: sie können, wie im aktuellen Fall, über Social Media verbreitet werden und außer Kontrolle geraten. Früher brachte man seinen Film zur Entwicklung und es gab nur einen Abzug. Dieser verschwand recht schnell in einem Schuhkarton fern ab der Öffentlichkeit.

Als ich in den neunziger Jahren meine Krankenpflegeausbildung machte, wurde uns beigebracht, dass Fotografieren von Patienten streng verboten sei. Zu der Zeit war Fotografie mein Hobby und ich hatte damals eigentlich immer einen Fotoapparat in der Tasche. Hat jemand im Krankenhaus gesehen, dass ich einen Fotoapparat im Rucksack hatte, stand ich gleich unter Generalverdacht. „Huch, aber du weißt, im Krankenhaus ist knipsen verboten! Und ja keine Patienten fotografieren“ hörte ich reflexartig und ermahnend. Eine Kamera mit in ein Krankenhaus zu nehmen war ein bisschen wie das Taschenmesser im Handgepäck im Flugzeug.

Handyverbot im Krankenhaus

Früher herrschte in jeder Klinik striktes Handyverbot. Dies konnte, wegen Druck von Patienten als auch Personal nicht aufrecht gehalten werden und verwässerte.

Früher herrschte in jeder Klinik striktes Handyverbot. Wegen fehlender Akzeptanz (von Personal wie Patienten) sind Mobiltelefone mittlerweile stillschweigend geduldet.

Als die Handys aufkamen, wurden diese umgehend in Krankenhäusern verboten. An jeder Eingangstür wurden entsprechende Schilder geklebt, besonders an Intensivstationen. Damals noch in der Befürchtung (oder dem Vorwand), das die Funkwellen Herzschrittmacher oder medizinische Geräte stören und so Schaden am Patienten erzeugen könnten.

Anfangs wurden Handys vom Personal ausgeschaltet und in der Umkleide im Spint gelassen, später diffundierten sie in die Pausenräume auf den Stationen. Heute werden sie ganz selbstverständlich in der Kitteltasche getragen.

Aus der Zeit, als die Handyverbote ausgesprochen wurden, waren die Geräte noch gar nicht mit Digitalkameras versehen. Nach den aktuellen Ereignissen könnte aber die Kamerafunktion zu einer neuen, reflexartigen Mobiltelefonverbotswelle führen.

Fazit

Ich möchte der Menschheit nicht das Smartphone weg nehmen. Auch nicht im Gesundheitswesen. Wenn sich nicht schnell das Bewusstsein jedes einzelnen ändert, werden dies jedoch sicher wieder „von oben“ angeordnet werden.
Daher finde ich die 5 fristlosen Kündigungen als vollkommen richtig: sie setzen ein Signal.
Es ist auch gut, dass die Meldung durch alle Massenmedien getragen wurde. Hoffentlich hat jeder, der im Gesundheitsbereich arbeitet, davon Notiz genommen.

Liebe Leute, es ist so einfach, und es muss wieder gelten:
Bitte nicht fotografieren!

Vielen Dank an Timo Mügge, der mich über einen Tweet auf den Fall aufmerksam machte.