Der Elefant im Untersuchungszimmer

Screenshoot Website ZDoggMD_com

Aus Doc wird Dogg

Der Internist Zubin Damania  hat sich vom angepassten Arzt mit Standford-Hintergrund zum Stand-up Comedian mit Gangsta-Attitude verwandelt: seit 2010 rappt er als ZDoggMD über Gesundheitsthemen. Sein Motto: „Slightly funnier than placebo„.

Seine neuste Nummer heißt „EHR State of Mind“ und ist eine Parodie auf  „Empire State of Mind“ von Jay-Z feat. Alicia Keys. Seine Version stellt eine harsche Kritik an Electronic Health Records (EHR) aus der Arzt-Perspektive dar.

Ein Artikel auf  Healthcare IT News fasst es so zusammen: „ZDoggMD may not win a Grammy, but it likely strikes a chord with clinicians frustrated by the inefficiencies of their EHRs“. Der Song-Text verarbeitet (in teilweise überzeichneter Weise) die Hauptprobleme von EHRs ab. Er bedient sich dabei klar einem „Ärzte-Slang“, der für Nicht-Mediziner nur bedingt verständlich ist.“30 clicks for a Ambien“ prangert Usability-Probleme in Form von langen Klickfaden zur Verschreibung eines Standard-Schlafmittels[=Ambien] an, „Vaseline conflicts with Doxy?“ verballhornt Popups mit nicht nachvollziehbaren Wechselwirkungen zwischen verordneten Medikamenten [Doxy=Doxycyclin=Breitbandantibiotikum].  Hinter dem Wortspiel „Meaningless abuse“ steckt eine Persiflage  auf das zunehmend in Kritik geratene Meaningful Use Programm: es bietet finanzielle Anreize für Kliniken & Praxen, die EHRs einführen bzw. straft jene ab, die dies nicht tun. Schlussendlich wird im Refrain der EHR als „glorifizierte Abrechnungsplattform mit ein ein paar Patientenfunktionen“ entlarvt(„just a glorified billing platform, with some patient stuff tacked on“).

Electronic Health Records – Eine Hass-Liebe

Auf seiner Webseite fasst er seine „Love-hate relationship with Electronic Health Records“ folgendermaßen zusammen: „ Simply put, the Tower of Babel of existing EHRs may not ever talk to one another, but they do share one thing: they come between us and our patients. Staring at a screen to click boxes and satisfy quality measures while figuring out the seventeenth digit for an ICD-10 code—this nonsense robs us of precious time and attention that should be spent on and with patients. I would never advocate going back to paper. Ever. But we need to demand technology that binds us closer to those we care for, technology that lets doctors be doctors.“

David gegen Goliath. Der kleine Doc Quixote gegen windmühlenartige „WoWs“ [=workstations on wheels], gegen den „Elephant in the examination room“ – den EHR.

Auf Healthcare IT News berichtet jetzt in einem weiteren Artikel eine Gynäkologin sehr eindringlich über ihre Erfahrungen mit EHRs:“As an OB/GYN, women strip down naked in front of me and share their most intimate details. Yet a computer demanding data entry leaves very little room for intimacy in the exam room.“ Links neben dem Artikel: auf den ersten Blick deplaziert, der Werbebanner eines EHR-Herstellers.

Neben dem Erfahrungsbericht einer Gynäkologin prangert ein Werbebanner für ein EHR. - Deplaziert, oder lanciert?!

Neben dem kritischen Erfahrungsbericht einer Gynäkologin zu EHRs prangert ein Werbebanner für einen EHR. Deplatziert, oder ..lanciert?!

Die Aktion „Let Doctors Be Doctors“

Am Ende des Videos ruft ZDoggMD zum mitmachen auf: man solle doch seine eigene Story erzählen. Dafür gäbe es die Webseite LetDoctorsBeDoctors.com und den  Twitter-Hashtag #LetDoctorsBeDoctors. Die Webseite LetDoctorsBeDoctors.com ist wie folgt aufgebaut: Oben ganz groß der schillernde Protagonist ZDoggMD, dann eine lange Reihe von Kommentaren, die Kollegen bereits hinterlassen haben. Darunter eine Eingabemaske, über die jeder seine eigene Story zum Besten geben kann. Auch wir fernab von Amerika können uns beteiligen: unter „State“ kann „Outside of USA“ ausgewählt werden.

Does your EHR get in your way.

Steht Ihnen ihr IT-System mal wieder im Weg? Hier können Sie ihren Frust raus lassen. [Screenshot Webseite letdoctorsbedoctors.com vom 8.Nov.15]

Die Seite schließt, ganz unten mit einem „Werbe-Block“. Diese Aktion hat nämlich einen Sponsor: athenahealth.
athenahealth ist ein Anbieter von EHR-Systemen. Ein „Elefant“ als Sponsor hinter der Aktion? Nun, man sieht sich nicht als Teil des Problems, sondern hat auch gleich die Lösung parat: das EHR-Produkt aus dem eigenen Hause.

Bei athenahealth ist man sich sicher, das EHR-Dilemma schon gelöst zu haben. Mit dem eigenen Produkt. [Screenshot Webseite letdoctorsbedoctors.com vom 8.Nov.15]

Bei athenahealth ist man sich sicher, das EHR-Dilemma schon gelöst zu haben. Mit dem eigenen Produkt. [Screenshot Webseite letdoctorsbedoctors.com vom 8.Nov.15]

Wer mehr über diesen EHR erfahren möchte, der „Ärzte wieder Ärzte sein lässt“,  kann sich auf die Webseite von athenahealth weiterleiten lassen. Man kommt dann nicht etwa auf die allgemeine Startseite oder eine Produkt-Seite an, sondern findet sich auf einer eigens für diese Kampagne eingerichten Landingpage [http://landing.athenahealth.com/letdoctorsbedoctors] mit entsprechender Zielgruppenansprache wieder. Ein Indiz dafür, dass es sich bei „Let doctors be doctors“ um eine ausführlich geplante und durchdachte Marketing-Kampagne handelt.
Nebenbei bemerkt: Das Werbebanner neben dem Artikel der Gynäkologin ist übrigens „zufälligerweise“ auch von athenahealth.

Käufliche Rapper und Produktivitätsverlust durch Digitalisierung

Die „Let doctors be doctors“- Webseite und das ZDoggMD-Video sind also Teil einer viralen Marketingkampagne von athenahealth, der Gangsta-Rapper aus dem Standford-Ghetto ZDoggMD ist demnach vermutlich gekauft. ZDoggMD rechtfertigt dies im Abspann des Videos so: „Big ups to athenahealth for being the only EHR vendor brave enough to admit that EHRs suck„.
Jonathan Bush, Der CEO von athenahealth erläutert die Hintergründe zu der Kampagne  ausführlich in einem Artikel auf U.S. News. Er spricht Klartext und nimmt dabei EHRs kräftig in die Mangel: „Many [doctors] were initially enthusiastic at the thought of automating their practices, expecting the same kind of usability and productivity they enjoyed with, say, the software they use to do their taxes. […] The reality is that the more „digital“ physicians go, and the longer they use software, the less satisfied they become.“ Jonathans Schlussfolgerung sind harte Worte: „That’s the kicker: Health care is the only industry that has managed to lose productivity while going digital.“

Im Unternehmensblog „Health Leadership Forum“ äußert sich  Ed Park, COO von athenahealth, zur Kampagne. Anhand einer (mäßig authentischen) Storyline mit „persönlichen Erlebnissen, die ihn schwer bewegt haben“ geht auch er auf Schwächen und Fehlentwicklungen von EHRs ein. Dann versucht er, die eigenen Produkte aus der Generalkritik herauszulösen: „Ten years ago, when athenahealth began building our EHR service, we started off with the intent of creating the world’s first truly usable EHR.“  Spontan musste ich an die Geschirrspülmittel-Werbung von Palmolive aus den 80-igern denken. Dort wurde versucht, sich nicht als Geschirrspülmittel, sondern etwas Überlegenes – nämlich Palmolive – in die Köpfe der Konsumenten einzubrennen.

Tilly: „Sie haben sich gerade eingeloggt.“
Ärztin:“ In einen EHR?“
Tilly: “ Nein, in athenahealth“.

Episch scheitern

Im Video „EHR State of mind“ werden 2 Produktnamen genannt: Epic und Epocrates.  Epic ist der U.S.-Marktführer, eigentlich eines der „besseren“, wenn nicht sogar das beste System – zumindest in der „Elefantenrunde“ an altherwürdigen EHRs. ZDoggMD straft es hingegen schwer ab und bezeichnet es als „Epic fail“ – also quasi als „episch gescheitert“.
Epocrates wird hingegen als positives Beispiel angeführt. Bei Epocrates handelt es sich um Spezialanbieter von Medizinische Apps aus Kalifornien. Ihre mHealth-Produkte (vornehmlich Clinical Decision Support Systeme, aber auch EHRs) erfreuen sich in der Ärzteschaft großer Beliebtheit. Bis 2013 waren sie eigenständig, dann wurden sie gekauft. Von wem? athenahealth. Wieder wird das „Guter EHR – Schlechter EHR“-Schema bedient. Epic als Leittier aus der überalterten Elefantenherde, Epocrates als agile App aus der Cloud.
Auch Steve Jobs hat Epocrates in Vorträgen positiv erwähnt. Bevor Epocrates gekauft wurde, wohlgemerkt. Die hohe Popularität von Epocrates war auch einer von athenahealth´s Gründen für die Akquisition. Im Prinzip hoffte man, dass sich die Popularität von  Epocrates auf athenahealth übertragen würde und Epocrates´ Kompetenz bei mobilen Technologien auch die ( damals scheinbar noch „elefantischen“) athenahealth-Produkte beflügeln könnte. So jedenfalls brachte es Jonathan Bush in einem TV-Interview von 2013 rüber:

Noch mehr gut gemachte Videos

Während im Video von ZDoggMD ein Zusammenhang mit athenahealth nicht offensichtlich erkennbar ist (kein Logo oder Nennung als Sponsor), sind am selben Tag  eine Serie von 4 „offiziellen“ athenahealth-Werbespots auf Youtube erschienen. Sie sind durchweg originell gemacht und aufwendig produziert, hier zwei Beispiele:

Fazit

Es hätte so schön sein können. ZDoggMD´s Video wäre genial, wenn es denn nun wirklich von ihm wäre. Liest man die Kommentare unter dem Video auf Youtube, oder die Reaktionen auf Twitter, findet sich breite Zustimmung. Man hat tatsächlich den Nerv getroffen. Die „Mitmachaktion“ im Rahmen der „Let doctors be doctors“ Initiative ist ebenso auf den ersten Blick eine nette Idee. Wird einem nach genauerer Betrachtung die treibende Rolle von athenahealth hinter der ganzen Aktion ersichtlich, ist der Lack schnell ab. Die „Es gibt ein großes Problem, aber keine Sorge, wir haben die Lösung“-Attitüde ist etwas platt und strotzt zudem von übermäßigem Selbstbewusstsein.

Cloud-basierte Lösungen und der Einsatz von Web-basierten/ mobilen Technologien bieten eine Reihe von Vorteilen, die Altsysteme völlig zu Recht das Fürchten lehren. Es gibt aber eine Reihe von Problemzonen von EHRs, die unabhängig von diesen Technologien sind und durch sie nicht adressiert werden können. Dort hat athenahealth sicherlich auch noch seine Hausaufgaben zu machen.

Mediquire – Das Analyse Tool für den gläsernen Arzt

logo_mediquire

Analyse Tools, die Daten aus elektronischen Patientenakten einer ganzen Klinik auswerten können, gibt es zuhauf. Mit ihnen können zum Beispiel Patienten mit einem besonderen Merkmal herausgefiltert und deren Daten zu Studienzwecken miteinander verglichen und ausgewertet werden. Dies hat einen zunehmend hohen Stellenwert bei der Erforschung seltener Erkrankungen.

Wie performant bin ich den heute?

Das auf den amerikanischen Markt zugeschnittene MediQuire hat da mal einen ganz Ansatz: die Anordnungen der Ärzte steht im Mittelpunkt der Analysesoftware.
Mediquire erstellt aus den Daten der Patientenakten Statistiken, die Auskunft über die individuellen Behandlungsweisen jedes einzelnen Arztes in der Einrichtung geben.

„Turning data into quality improvements“

…lautet das Motto von mediquire. Ärzte können auf einem persönlichen Dashboard ihre eigene Performance sehen und erhalten Statistiken, wie sie im Vergleich zu ihren „Peers“, also zum Beispiel allen Kollegen ihres Fachbereichs, da stehen.
Ordne ich mehr Untersuchungen an als der Durchschnitt? Bin ich der Einzige, der nie Medikament xy verordnet, obwohl es doch die Leitlinien-gerechte Therapie wäre?
Durch dieses „Feedback“ sollen die Ärzte ihre eigene Behandlungsstrategie und somit die Versorgungsqualität „verbessern“ lernen. Klingt nach einer Art freiwilligen Selbstkontrolle und kann doch nur im Sinne des Patienten sein, oder?!

Lehrinhalte für Ärzte

Ferner sollen dem Arzt individuelle Lerninhalte angeboten werden. Ein ehrgeiziger Ansatz, denn die entsprechenden Wissenslücken sind sehr vielfältig und individuell. Zudem ist dieser Markt auch schon längst besetz, so bietet zum Beispiel der Global-Player Wolter Kluwer seit Jahren sein UpToDate® an. Das kostenpflichtige Produkt bietet Ärzten über einen Webzugang eine umfangreiche Wissensdatenbank und eine aktive Ärzte-Forum für individuelle Fachfragen.

Vermeintliches Einsparungspotential soll Krankenhäuser locken

Die durch den Einsatz von Mediquire versprochene Qualitätsverbesserung soll zu Kosteneinsparungen von bis zu 10 Millionen US-$ im Jahr führen, behauptete der CEO Klaus Königshausen in einem Interview. Wie sich diese Summe errechnet erfahren wir leider nicht. Jedenfalls eignet sich die Zahl prima, um die stolzen jährlichen Lizenzkosten von 100.000 bis 200.000 US-$ für die SaaS-Web-Anwendung zu rechtfertigen.

Missbrauch vorprogrammiert?

Hört, hört: für den Fall, dass die Ärzte nicht von selbst „an sich arbeiten“, gibt es natürlich auch ein Dashboard mit einer Gesamtübersicht für die Leitungsebene. Es können Suchanfragen definiert werden, zum Beispiel wer im Haus die meisten (teuren) MRT-Untersuchungen anordnet.

Klar, dass die Anwendung in der Hand von übereifrigen Controllern großes Potential für Einsparungen bieten kann. Aus der Selbstkontrolle wird schnell eine Überwachung. Ähnlich sieht das auch Stephanie Baum in ihrem Artikel auf medcitynews: „Will hospitals use the data in the way envisioned? Or will they use it as a punitive measure for physicians?“

Im schlimmsten Falle könnte dies dazu führen, dass Ärzte an sich notwendige Untersuchungen nicht mehr verordnen, aus Angst in der Statistik „aufzufallen“.

Fazit

Es stellt sich mir die Frage: sind diese Statistiken wirklich hilfreich, um eine Aussage über die Behandlungsqualität zu geben?
Kann der Software-Algorithmus den Umständen eines jeden der individuellen Behandlungsfälle Rechnung tragen oder nur stur aufsummieren und numerische Werte liefern?

Die Software liefert beides: Klinische und finanzielle Metriken. Die einen wollen Potential zur Qulitätsverbesserung bieten, die anderen Einsparungsperspektiven aufzeigen.
Wobei Qualitätsverbesserung nicht unbedingt Kosteneinsparung bedeuten muss: es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Ärzte bisher zu wenig Therapie verschreiben. Durch Mediquire könnte dann Leitlinien-gerecht entsprechend mehr angesetzt werden. Gut für den Patienten, schlecht für den Controller mit dem „versprochenen“ 10 Millionen Einsparungspotential im Hinterkopf.

Es wäre sicher spannend, in unabhängigen Studien zu evaluieren, auf welche Metriken die Kunden von Mediquire besonders wert legen und ob die versprochenen Ziele in Sachen Behandlungsqualität und Einsparungspotential überhaupt erreicht werden können. Ebenso könnten die Ärzte befragt werden: sehen sie die Anwendung als hilfreich an (würden sie sie weiter empfehlen), oder überwiegt der „Überwachungscharakter“?

Der Traum von Professional Mobile Health – und die limitierenden Faktoren der Realität

Kommen mobile Endgeräte im Zusammenhang mit medizinischen Anwendungen zum Einsatz wird von Mobile Health (kurz m-Health). Dabei kann man Professional Mobile Health, also den Einsatz durch medizinisches Fachpersonal in Gesundheitseinrichtungen,  von Consumer Mobile Health abgrenzen. Dies sind zum Beispiel in App Stores verfügbare Apps, die keiner Kontrolle unterliegen und oft auch im Wellness /- Lifestyle-Bereich angesiedelt sind. Klassiker sind Ernährungsberater, Fitnesstrainer, oder Anwendungen zur Erfassung von Messwerten (Blutzucker, Blutdruck) oder Wohlbefinden (Schmerz, Stimmung).

Smartphones & Tablet PCs sind allgegenwärtig  Über die Kitteltaschen des medizinischen Fachpersonals haben sich mobile Endgeräte auch längst in die Kliniken eingeschleust. Und natürlich fragt sich der Arzt auf Station früher oder später, warum diese praktischen kleinen Dinger aus dem Privatgebrauch nicht auch auf Station für Datenerhebung und Dokumentation eingesetzt werden. Auch Patienten nutzen zunehmend Smartphones mit angedockten Sensormodulen oder diverse Apps, um ihre Gesundheitsdaten zu erfassen. Beim Aufnahmegespräch in der Klinik oder in der Hausarztpraxis bleibt dem Arzt dann oft nichts anderes übrig, als sich die digital vorhandenen Werte vom Display auf einen Bogen Papier abzuschreiben.

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Einen Weg des elektronischen Datentransfers vom Endgerät des Patienten zu der medizinischen IT Infrastruktur muss er Schulter-zuckend verneinen. Für Patient (und eventuell den behandelnden Arzt) entsteht so der Eindruck der Rückständigkeit des Gesundheitssystems. Dies bedingt einen zunehmenden Druck „von innen“ auf die IT-verantwortlichen der Krankenhäuser.

Die Industrie steht unter Druck

Dieser Druck wurde postwendend an die Hersteller von Soft- oder Hardware für den Gesundheitssektor weitergegeben. Bedeutet das für diese Anbieter nicht ein neuer Markt?! Bedingt. Erst einmal sind nämlich nicht unerhebliche Investitionen nötig: sie haben von Haus aus nicht die Kompetenzen für mobile Technologien. Das heißt, sie müssen entweder ein spezialisiertes Developer-Team aufbauen oder Know-how und die Entwicklung von extern zukaufen bzw Kompetenzpartner hinzuziehen.

Zum richtigen Zeitpunkt am Start war hier die xonion GmbH: sie hat sich auf Mobile Healthcare IT spezialisiert und bereits zwei Krankenhausinformationssysteme „mobil“ gemacht. Einerseits das von Agfa Healthcare angebotene ORBIS ME!- Mobile Version sowie  MCC.Mobile von Meierhofer.

Leider sind die Krankenhäuser aber oft gar nicht bereit, zum Beispiel für eine mobile Variante des im Einsatz befindlichen Krankenhausinformationssystems (KIS) Geld auszugeben. Dies wird vielmehr vom KIS-Anbieter als „kleine“ Zugabe oder Update voraus gesetzt. Die IT Verantwortlichen der Kliniken stehen in einer guten Verhandlungsposition und sind „Zugaben“ gewohnt, da der KIS Markt heiß umkämpft ist und der Verlust eines Kunden für einen Anbieter schmerzlich ist. Im Umkehrschluss bieten mobile Lösungen aber ein Alleinstellungsmerkmal (USP) und somit Vorteile bei der Neukundengewinnung.

Mobile Health Startups haben es schwer

 Natürlich gibt es auch eine Reihe von Startups, die mit viel Elan genau diesen Markt besetzen wollen. Allerdings treffen sie auf den sehr konservativ geprägten Markt der Health IT. Als neuer „Player“ hat man es dort sehr schwer. Wie bereits erläutert gibt es eh nicht viel Geld zu verteilen und zweitens stellen sich die alten Branchenriesen insgeheim auch quer: immerhin könnte man Mobile Health auch als disruptives Element für ihre bestehenden Ertragskanäle ansehen. Und es lassen sich auch leicht Argumente finden, die Professional Mobile Health in Frage stellen.

Consumer Electronics vs. Medizintechnik

Schließlich muss einem klar sein, dass es sich bei Smartphones oder Tablet PCs schlichtweg um Consumer Electronics handelt, nicht aber um medizintechnische Produkte. Sie sind nicht darauf ausgelegt, die hohen Anforderungen im Klinikalltag an Sicherheit, Robustheit, Desinfizierbarkeit etc. zu erfüllen, und die Hard- und Software kann auch leicht an denn gesetzliche Auflagen oder Normen (CE, ISO, Medizinproduktegesetz etc.) Schiffbruch erleiden. Ebenfalls typisch für Consumer Electronics: die kurzen Lebenszyklen der Produkte. Alle 1-2 Jahre kommt eine neue Produktversion auf den Markt, bestes Beispiel hier das iPhone. Im Jahre wurde es 2007 eingeführt, in diesem Jahr bereits das iPhone 5 vorgestellt. Medizintechnik hingegen ist traditionell auf Langlebigkeit ausgelegt und greift bevorzugt auf altbewährte Technologien zurück. Wie wird man damit im Gesundheitssektor umgehen?! Die mobilen Endgeräte jedes Jahr kostenintensiv austauschen? Oder an einer Version „hängen bleiben“ und damit in 5 Jahren mit dem iPhone5 genauso rückständig erscheinen wie jetzt ohne?!

Erst mit der elektronischen Patientensakte macht Mobile Health richtig Sinn

Wurde früher im Gesundheitswesen alles auf Papier notiert und in Patientenakten gesammelt, werden zunehmend Daten digital erfasst. Diese werden dann wiederum ausgedruckt und der Papierakte hinzugefügt. Das führt jetzt schon zu einer doppelten Buchführung und Verwirrung: man muss oft an 2 Stellen suchen, bevor man einen Befund gefunden hat. Wir haben auch keinen Vorteil, wenn die Krankenschwester auf Ihrem Stationsrundgang Messwerte am Patientenbett ganz „smart“ in den Tablet PC eingibt, diese dann aber anschließend altbacken auch in die Papierdokumentation über tragen muss. Es liegt also ein Medienbruch vor.

Erst wenn die gesamte Dokumentation in der Klinik oder der Arztpraxis digital erfolgt und wird die Blütezeit der mobilen Endgeräte beginnen: nahtlos werden Daten mobil erfasst und an die IT-Infrastruktur übertragen. Alle Informationen stehen jedem mit Zugangsberechtigung in Realtime zur Verfügung.

In der Forschung passiert viel

Theoretisch sind wir schon viel weiter. In unzähligen Pilotprojekten, vor allem aus dem Umfeld der Telemedizin, ist Machbarkeit längst nachgewiesen. Die technischen Hürden lassen sich überwinden. Doch: für welchen Preis? Und: Ist der technische Aufwand gerechtfertigt? Bedeutet der Einsatz von Mobile Health einen wirklichen Benefit für den Patienten? Oder ist es nur eine Luxusvariante und Spielerei für medizinisches Fachpersonal? Sind mobile Endgeräte für das Gesundheitswesen ein must-have oder nur ein nice-to-have?! Die Klärung dieser Fragen wird sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen und somit der flächendeckende Roll-out mobiler Technologien im Gesundheitsdienst auf sich warten lassen.

Der Markt der Gesundheits-Apps boomt

Unberührt von den Diskussionen im professionellen Gesundheitsmarkt über Sinn und Zweck von mobilen Anwendungen explodiert das Angebot von Gesundheits-Apps. Schätzungen rechnen mit 100.000 Mobile Health Apps für Ende 2012. In einer unüberschaubar gewordenen Flut an Anwendungen wird es für den Nutzer auch immer schwerer adäquate Produkte in seinem App Store zu finden. Die Qualität schwankt sehr  stark und wirklich gute Anwendungen leider eher selten zu finden.

Zusammengefasst habe ich meine Überlegungen zu Mobile Health auch in einem Impulsvortrag beim 1.Barcamp Health IT in Berlin, hier meine Folien:

The power to be a better mother, father, son or daughter: Microsoft HealthVault

Screenshot des Dashboards der  Microsoft HealthVault Gesundheitsplattform

Soeben habe ich mich bei HealthVault registriert. Das geht jetzt nämlich in deutscher Sprache und unter dem Namen Microsft HealthVault.

HealthVault ist eine persönliche und sichere Online-Gesundheitsplattform, mit deren Hilfe, Sie Ihre wertvollen Gesundheitsdaten speichern, verwalten und mit Gesundheits-dienstleistern austauschen können“ steht auf der neu gestalteten deutschsprachigen Webseite von HealthVault geschrieben. Als Einführung möchte ich dieses Promo-Video zum Besten geben, aus dem ich auch den wunderbar verherrlichenden Titel dieses Beitrages „The power to be a better mother, father, son or daughter“ entliehen habe:

HealthVault ist ja eigentlich ein alter Hut. In regelmäßigen Abständen erscheint es wieder und geht durch die Presse. 2007 wurde es in den USA gelauncht, wenig später mit einem Partner auch in Kanada erhältlich gemacht. 2010 ist es dann nach Europa rüber geschwappt. In UK wird es seither von Microsoft unter dem eigenen Brand HealthVault angeboten, in Deutschland hatte man ein Lizenzmodell vorgezogen. Siemens IT-Solutions and Services wurde Lizenznehmer und sollte als Vertriebspartner und Betreiber fungieren, erstes Infomaterial wurde erstellt und dem Kind der sich mir nicht erschließende Name Assigno gegeben. Kurz darauf hat Siemens dann aber nur das Hosting bei sich behalten und die eigentliche Vermarktung an einen Atos übergeben.
Unter der Regie des nun 2. deutschen Lizenznehmer der HealthVault Technologie wurde es 2011 von Atos weiterhin unter dem Namen Assigno in Deutschland erhältlich, wobei sich die Vermarktung (meiner Meinung nach unverständlicherweise) im ersten Schritt nicht an Endverbraucher, sondern vornehmlich an Anwendungsentwickler und Gerätehersteller richtete. Die wiederum sollten einem Partnerprogramm beitreten und die entsprechende Vernetzung und Komptabilität mit in Deutschland bestehenden Systemen, Infrastrukturen oder Geräten gewährleisten.

Quelle: Atos, Assigno Partner Portal

HealthVault  konnte nirgendwo auf der Welt die Erwartung übertreffende Registrierungen vorweisen und  nicht zu vergessen war Google zur selben Zeit gerade dabei sein Pendant Google Health dicht zu machen. Man hatte daher Sorge, mit der nackten solitären Gesundheitsplattform zu starten könnte als Flop enden. Daher wollte man zuvor ein Assigno-Ecosystem auf die Beine stellen um von Anfang an einen Mehrwert bieten zu können. Zudem sollten die Partner natürlich auch als Multiplikatoren dienen um dann beim „eigentlichen Launch“ auf breiten Schultern aufgestellt zu sein.

Die Rechnung ging aber scheinbar nicht auf, vermutlich da sich nicht ausreichend Partner für das Ecosystem finden ließen. Die Gründe können vielfältig sein, vielleicht lag es an den hohen Einstiegshürden in das Partnerprogramm (das zum Beispiel eine Zahlung im 5-stelligen Bereich beinhaltete), oder dem bei relativ hohem Aufwand für die Partner nicht abschätzbarem Erfolg des Projektes.

Kurzum, irgendwie waren alle zu zaghaft und halbherzig. Das Risiko der Markteinführung und -erschliessung in Deutschland wollte niemand auf sich nehmen. Angefangen bei Microsoft selber, dann Siemens, weiter zu Atos bis hin zu der Geräteherstellern und Anwendungsentwicklern, die dann als schwächstes Glied in der Kette verständlicherweise gar nicht erst auf das Pferd aufgesprungen sind.

Scheinbar zieht man nun bei Microsoft die Reißleine und nimmt das Ruder wieder selbst in die Hand. Schon auf der diesjährigen ConhIT war HealthVault am Microsoft-Stand in meinen Augen auch wieder präsenter. Ein Microsoft Mitarbeiter am Stand wies mich dann auch auf einen Launch in Deutschland im Juni hin. Selbiges kann man auch in diesem sehr aufschlussreichen Artikel auf dem MSDN-Blog von Sean Nolan nachlesen, der für Microsoft über HealthVault berichtet. Dort ist auch zu lesen, dass Assigno nicht weiter fortgeführt wird. Welch ein Befreiungsschlag, denn das verschachtelte System an Lizenznehmern schaffte nicht sonderlich Transparenz und Vertrauen. Nun weiß man, wo man dran ist. Raider ist wieder Raider und nicht mehr Twix. Meine Daten werden bei Microsoft liegen und das Ding heißt, wie eigentlich schon immer: HealthVault.

Jetzt können Gerätehersteller und Anwendungsentwickler aus Deutschland auch ohne Vertrag-Hickhack sich an die Plattform andocken, das HealthVault Developer Center steht für jeden offen.

Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weiter geht und wünsche HealthVault einen guten Start!