Analyse Tools, die Daten aus elektronischen Patientenakten einer ganzen Klinik auswerten können, gibt es zuhauf. Mit ihnen können zum Beispiel Patienten mit einem besonderen Merkmal herausgefiltert und deren Daten zu Studienzwecken miteinander verglichen und ausgewertet werden. Dies hat einen zunehmend hohen Stellenwert bei der Erforschung seltener Erkrankungen.
Wie performant bin ich den heute?
Das auf den amerikanischen Markt zugeschnittene MediQuire hat da mal einen ganz Ansatz: die Anordnungen der Ärzte steht im Mittelpunkt der Analysesoftware.
Mediquire erstellt aus den Daten der Patientenakten Statistiken, die Auskunft über die individuellen Behandlungsweisen jedes einzelnen Arztes in der Einrichtung geben.
„Turning data into quality improvements“
…lautet das Motto von mediquire. Ärzte können auf einem persönlichen Dashboard ihre eigene Performance sehen und erhalten Statistiken, wie sie im Vergleich zu ihren „Peers“, also zum Beispiel allen Kollegen ihres Fachbereichs, da stehen.
Ordne ich mehr Untersuchungen an als der Durchschnitt? Bin ich der Einzige, der nie Medikament xy verordnet, obwohl es doch die Leitlinien-gerechte Therapie wäre?
Durch dieses „Feedback“ sollen die Ärzte ihre eigene Behandlungsstrategie und somit die Versorgungsqualität „verbessern“ lernen. Klingt nach einer Art freiwilligen Selbstkontrolle und kann doch nur im Sinne des Patienten sein, oder?!
Lehrinhalte für Ärzte
Ferner sollen dem Arzt individuelle Lerninhalte angeboten werden. Ein ehrgeiziger Ansatz, denn die entsprechenden Wissenslücken sind sehr vielfältig und individuell. Zudem ist dieser Markt auch schon längst besetz, so bietet zum Beispiel der Global-Player Wolter Kluwer seit Jahren sein UpToDate® an. Das kostenpflichtige Produkt bietet Ärzten über einen Webzugang eine umfangreiche Wissensdatenbank und eine aktive Ärzte-Forum für individuelle Fachfragen.
Vermeintliches Einsparungspotential soll Krankenhäuser locken
Die durch den Einsatz von Mediquire versprochene Qualitätsverbesserung soll zu Kosteneinsparungen von bis zu 10 Millionen US-$ im Jahr führen, behauptete der CEO Klaus Königshausen in einem Interview. Wie sich diese Summe errechnet erfahren wir leider nicht. Jedenfalls eignet sich die Zahl prima, um die stolzen jährlichen Lizenzkosten von 100.000 bis 200.000 US-$ für die SaaS-Web-Anwendung zu rechtfertigen.
Missbrauch vorprogrammiert?
Hört, hört: für den Fall, dass die Ärzte nicht von selbst „an sich arbeiten“, gibt es natürlich auch ein Dashboard mit einer Gesamtübersicht für die Leitungsebene. Es können Suchanfragen definiert werden, zum Beispiel wer im Haus die meisten (teuren) MRT-Untersuchungen anordnet.
Klar, dass die Anwendung in der Hand von übereifrigen Controllern großes Potential für Einsparungen bieten kann. Aus der Selbstkontrolle wird schnell eine Überwachung. Ähnlich sieht das auch Stephanie Baum in ihrem Artikel auf medcitynews: „Will hospitals use the data in the way envisioned? Or will they use it as a punitive measure for physicians?“
Im schlimmsten Falle könnte dies dazu führen, dass Ärzte an sich notwendige Untersuchungen nicht mehr verordnen, aus Angst in der Statistik „aufzufallen“.
Fazit
Es stellt sich mir die Frage: sind diese Statistiken wirklich hilfreich, um eine Aussage über die Behandlungsqualität zu geben?
Kann der Software-Algorithmus den Umständen eines jeden der individuellen Behandlungsfälle Rechnung tragen oder nur stur aufsummieren und numerische Werte liefern?
Die Software liefert beides: Klinische und finanzielle Metriken. Die einen wollen Potential zur Qulitätsverbesserung bieten, die anderen Einsparungsperspektiven aufzeigen.
Wobei Qualitätsverbesserung nicht unbedingt Kosteneinsparung bedeuten muss: es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Ärzte bisher zu wenig Therapie verschreiben. Durch Mediquire könnte dann Leitlinien-gerecht entsprechend mehr angesetzt werden. Gut für den Patienten, schlecht für den Controller mit dem „versprochenen“ 10 Millionen Einsparungspotential im Hinterkopf.
Es wäre sicher spannend, in unabhängigen Studien zu evaluieren, auf welche Metriken die Kunden von Mediquire besonders wert legen und ob die versprochenen Ziele in Sachen Behandlungsqualität und Einsparungspotential überhaupt erreicht werden können. Ebenso könnten die Ärzte befragt werden: sehen sie die Anwendung als hilfreich an (würden sie sie weiter empfehlen), oder überwiegt der „Überwachungscharakter“?