Der Traum von Professional Mobile Health – und die limitierenden Faktoren der Realität

Kommen mobile Endgeräte im Zusammenhang mit medizinischen Anwendungen zum Einsatz wird von Mobile Health (kurz m-Health). Dabei kann man Professional Mobile Health, also den Einsatz durch medizinisches Fachpersonal in Gesundheitseinrichtungen,  von Consumer Mobile Health abgrenzen. Dies sind zum Beispiel in App Stores verfügbare Apps, die keiner Kontrolle unterliegen und oft auch im Wellness /- Lifestyle-Bereich angesiedelt sind. Klassiker sind Ernährungsberater, Fitnesstrainer, oder Anwendungen zur Erfassung von Messwerten (Blutzucker, Blutdruck) oder Wohlbefinden (Schmerz, Stimmung).

Smartphones & Tablet PCs sind allgegenwärtig  Über die Kitteltaschen des medizinischen Fachpersonals haben sich mobile Endgeräte auch längst in die Kliniken eingeschleust. Und natürlich fragt sich der Arzt auf Station früher oder später, warum diese praktischen kleinen Dinger aus dem Privatgebrauch nicht auch auf Station für Datenerhebung und Dokumentation eingesetzt werden. Auch Patienten nutzen zunehmend Smartphones mit angedockten Sensormodulen oder diverse Apps, um ihre Gesundheitsdaten zu erfassen. Beim Aufnahmegespräch in der Klinik oder in der Hausarztpraxis bleibt dem Arzt dann oft nichts anderes übrig, als sich die digital vorhandenen Werte vom Display auf einen Bogen Papier abzuschreiben.

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GLUCODOCK® BLUTZUCKER-MESSMODUL von Medisana (www.medisana.de)

 

Einen Weg des elektronischen Datentransfers vom Endgerät des Patienten zu der medizinischen IT Infrastruktur muss er Schulter-zuckend verneinen. Für Patient (und eventuell den behandelnden Arzt) entsteht so der Eindruck der Rückständigkeit des Gesundheitssystems. Dies bedingt einen zunehmenden Druck „von innen“ auf die IT-verantwortlichen der Krankenhäuser.

Die Industrie steht unter Druck

Dieser Druck wurde postwendend an die Hersteller von Soft- oder Hardware für den Gesundheitssektor weitergegeben. Bedeutet das für diese Anbieter nicht ein neuer Markt?! Bedingt. Erst einmal sind nämlich nicht unerhebliche Investitionen nötig: sie haben von Haus aus nicht die Kompetenzen für mobile Technologien. Das heißt, sie müssen entweder ein spezialisiertes Developer-Team aufbauen oder Know-how und die Entwicklung von extern zukaufen bzw Kompetenzpartner hinzuziehen.

Zum richtigen Zeitpunkt am Start war hier die xonion GmbH: sie hat sich auf Mobile Healthcare IT spezialisiert und bereits zwei Krankenhausinformationssysteme „mobil“ gemacht. Einerseits das von Agfa Healthcare angebotene ORBIS ME!- Mobile Version sowie  MCC.Mobile von Meierhofer.

Leider sind die Krankenhäuser aber oft gar nicht bereit, zum Beispiel für eine mobile Variante des im Einsatz befindlichen Krankenhausinformationssystems (KIS) Geld auszugeben. Dies wird vielmehr vom KIS-Anbieter als „kleine“ Zugabe oder Update voraus gesetzt. Die IT Verantwortlichen der Kliniken stehen in einer guten Verhandlungsposition und sind „Zugaben“ gewohnt, da der KIS Markt heiß umkämpft ist und der Verlust eines Kunden für einen Anbieter schmerzlich ist. Im Umkehrschluss bieten mobile Lösungen aber ein Alleinstellungsmerkmal (USP) und somit Vorteile bei der Neukundengewinnung.

Mobile Health Startups haben es schwer

 Natürlich gibt es auch eine Reihe von Startups, die mit viel Elan genau diesen Markt besetzen wollen. Allerdings treffen sie auf den sehr konservativ geprägten Markt der Health IT. Als neuer „Player“ hat man es dort sehr schwer. Wie bereits erläutert gibt es eh nicht viel Geld zu verteilen und zweitens stellen sich die alten Branchenriesen insgeheim auch quer: immerhin könnte man Mobile Health auch als disruptives Element für ihre bestehenden Ertragskanäle ansehen. Und es lassen sich auch leicht Argumente finden, die Professional Mobile Health in Frage stellen.

Consumer Electronics vs. Medizintechnik

Schließlich muss einem klar sein, dass es sich bei Smartphones oder Tablet PCs schlichtweg um Consumer Electronics handelt, nicht aber um medizintechnische Produkte. Sie sind nicht darauf ausgelegt, die hohen Anforderungen im Klinikalltag an Sicherheit, Robustheit, Desinfizierbarkeit etc. zu erfüllen, und die Hard- und Software kann auch leicht an denn gesetzliche Auflagen oder Normen (CE, ISO, Medizinproduktegesetz etc.) Schiffbruch erleiden. Ebenfalls typisch für Consumer Electronics: die kurzen Lebenszyklen der Produkte. Alle 1-2 Jahre kommt eine neue Produktversion auf den Markt, bestes Beispiel hier das iPhone. Im Jahre wurde es 2007 eingeführt, in diesem Jahr bereits das iPhone 5 vorgestellt. Medizintechnik hingegen ist traditionell auf Langlebigkeit ausgelegt und greift bevorzugt auf altbewährte Technologien zurück. Wie wird man damit im Gesundheitssektor umgehen?! Die mobilen Endgeräte jedes Jahr kostenintensiv austauschen? Oder an einer Version „hängen bleiben“ und damit in 5 Jahren mit dem iPhone5 genauso rückständig erscheinen wie jetzt ohne?!

Erst mit der elektronischen Patientensakte macht Mobile Health richtig Sinn

Wurde früher im Gesundheitswesen alles auf Papier notiert und in Patientenakten gesammelt, werden zunehmend Daten digital erfasst. Diese werden dann wiederum ausgedruckt und der Papierakte hinzugefügt. Das führt jetzt schon zu einer doppelten Buchführung und Verwirrung: man muss oft an 2 Stellen suchen, bevor man einen Befund gefunden hat. Wir haben auch keinen Vorteil, wenn die Krankenschwester auf Ihrem Stationsrundgang Messwerte am Patientenbett ganz „smart“ in den Tablet PC eingibt, diese dann aber anschließend altbacken auch in die Papierdokumentation über tragen muss. Es liegt also ein Medienbruch vor.

Erst wenn die gesamte Dokumentation in der Klinik oder der Arztpraxis digital erfolgt und wird die Blütezeit der mobilen Endgeräte beginnen: nahtlos werden Daten mobil erfasst und an die IT-Infrastruktur übertragen. Alle Informationen stehen jedem mit Zugangsberechtigung in Realtime zur Verfügung.

In der Forschung passiert viel

Theoretisch sind wir schon viel weiter. In unzähligen Pilotprojekten, vor allem aus dem Umfeld der Telemedizin, ist Machbarkeit längst nachgewiesen. Die technischen Hürden lassen sich überwinden. Doch: für welchen Preis? Und: Ist der technische Aufwand gerechtfertigt? Bedeutet der Einsatz von Mobile Health einen wirklichen Benefit für den Patienten? Oder ist es nur eine Luxusvariante und Spielerei für medizinisches Fachpersonal? Sind mobile Endgeräte für das Gesundheitswesen ein must-have oder nur ein nice-to-have?! Die Klärung dieser Fragen wird sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen und somit der flächendeckende Roll-out mobiler Technologien im Gesundheitsdienst auf sich warten lassen.

Der Markt der Gesundheits-Apps boomt

Unberührt von den Diskussionen im professionellen Gesundheitsmarkt über Sinn und Zweck von mobilen Anwendungen explodiert das Angebot von Gesundheits-Apps. Schätzungen rechnen mit 100.000 Mobile Health Apps für Ende 2012. In einer unüberschaubar gewordenen Flut an Anwendungen wird es für den Nutzer auch immer schwerer adäquate Produkte in seinem App Store zu finden. Die Qualität schwankt sehr  stark und wirklich gute Anwendungen leider eher selten zu finden.

Zusammengefasst habe ich meine Überlegungen zu Mobile Health auch in einem Impulsvortrag beim 1.Barcamp Health IT in Berlin, hier meine Folien:

Turning diabetes into a game: mysugr.com

Quelle: www.mysugr.com

Seit dem 04.07. ist eine neue App für Diabetiker erhältlich: mysugr.com. Nun, Health Apps für Diabetiker gibt es zu hauf: eine kurze Suche nach „Diabetes“ im Appstore liefert weit über 600 Ergebnisse. Warum sollte ich also darüber schreiben?

Vornehmlich aus 3 Gründen:

# sie ist cool gemacht

# sie ist von Diabetikern gemacht

# sie ist ein zertifiziertes Medizinprodukt.

Webseite und App sind aufwendig designed und wirken konzeptionell und technisch ausgereift. Nichts wirkt billig oder nach 0-8-15 Umsetzung von der Stange. Hier macht sich sicher bemerkbar, dass das Wiener Start-up mySugr GmbH über mehrere Investoren verfügt und bei einem Startup Wettbewerb 30.000 € Siegerprämie einstreichen konnten.

Die Ansprache an den Nutzer ist formlos & direkt, im Insider-Stil. Tatsächlich sind 2 der Gründer Typ I Diabetiker und wissen wovon sie sprechen. Es ist also keine App von der Pharma-Industrie, einer Klinik oder sonst irgend jemand, sondern eine App von Diabetikern für Diabetiker.

Der Ansatz ist nicht einfach nur eine weitere „Diabetes-Tagebuch-App“ zu bieten, sondern es geht darum „der Diabetes Sau mal kräftig in den hintern zu treten„. Die durch den Nutzer eingegebenen Daten werden umgehend durch einen Avatar kommentiert, ferner werden alle Eingaben mit einem Punktesystem belohnt. Je mehr die App mit den eigenen Diabetes-Daten gefüttert wird, desto mehr Punkte gibt es. Denn je mehr Daten eingegeben werden, desto präziser kann die mySugr-App auch Feedback geben. Die App will durch Einsatz von Gameification Elementen also vor Allem dafür sorgen, dass man sich um seine Erkrankung kümmert. Oder wie es ein Slogan von mySugr umschreibt:“Turning diabetes into a game.“

Webisode: Founderz Hood // MySugr from viralvideo – web video productio on Vimeo.

Also alles nur ein Spiel?! Ist die App dann überhaupt ernst gemeint oder nur ein humoristischer Versuch von einer Handvoll Diabetiker, um ihre Erkrankung zu verarbeiten?! Weit gefehlt. Man hat sich die Mühe gemacht, eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukt zu bekommen. Hierfür muss „ein Nachweis der Sicherheit und der medizinisch-technischen Leistungsfähigkeit“ erbracht werden. Dies bringt neben bürokratischen Hick-Hack auch diverse zu erfüllende Auflagen gerade im Bereich Datensicherheit mit sich. Dafür gewinnt die App natürlich enorm an Ernsthaftigkeit und könnte z.B. auch ganz offiziell in einer Klinik zur Therapieunterstützung eingesetzt werden.

Der spielerische Ansatz zur Bewältigung von Erkrankungen ist natürlich auch nicht wirklich neu. Vor einigen Jahren waren Serious Games der Hype schlechthin und es wurden eine Vielzahl an Health Games entwickelt. Neben Krebs ist Diabetes dabei sicherlich eine der Erkrankungen, für die es die meisten dieser Serious Games gibt.

Quelle: bayerdiabetes.co.uk

Neu ist allerdings, dass die Zielgruppe nicht mehr Kids sind und man daher auch ohne den sonst obligatorischen Manga-mäßigen Comicstyle auskommt. mySugr.com adressiert offensichtlich den adulten Diabetiker. Die Gamer sind erwachsen geworden und spätestens seit foursqare ist Gamification im Mainstream angekommen. Die mySugr-Applikation dient auch nicht der spielerischen Vermittlung von Diabetes-Wissen sondern ist ein Tool für Fortgeschrittene, die längst wissen was eine BE oder IE ist.

Positiv finde ich auch, dass Support nicht als notwendiges Übel sondern als ein Hauptanliegen gesehen wird..“Support“ ist einen der 4 Reiter im Hauptmenü der Webseite. Wählt man ihn, kommt man zu „Frag Fredrik„.

Das ganze soll also auch Chefsache sein?! Fredrik Debong, einer der Gründer von mySugar macht Support?! Das habe ich umgehend getestet. Auf meine Anfrage über obiges Formular „ob er heute schon was Süsses genascht habe“ bekam ich exakt 11 Minuten später per Mail eine Antwort, tatsächlich von Fredrik: „Oh, ja, ein Club Mate als ich ins Büro kam!“.

Zusammenfassend gesagt hebt sich mySugr deutlich ab in der Flut von Gesundheits-Apps. Neben der hochwertigen Umsetzung macht die richtige Mischung aus Spaßfaktor und praktischen Nutzen den Reiz der Anwendung aus.

Bedauerlicherweise (bzw. zum Glück) bin ich kein Diabetiker und kann die App daher nicht im Praxiseinsatz testen. Sonst hätte ich wahrscheinlich auch gleich einen Vergleichstest mit der ähnlich gearteten HealthSeeker-App gestartet…