Das Interview in der Halbzeitpause – David Meinertz von DrEd

logo DrEdDotComAuf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2014 hatte ich Gelegenheit ein Interview mit David Meinertz zu führen.Er ist einer der Gründer von DrEd, einem  Telehealth-Startup, dass sich selbst medienwirksam als „die erste deutschsprachige Arztpraxis im Internet“ präsentiert.

Wir führten das Gespräch im Anschluss an die sehr informative und erstklassig besetzte Session zu Entrepreneurship im Gesundheitsbereich. Neben DrEd waren auch Vertreter von den vielversprechenden deutschen Startups Caterna und Novengo dabei.

Haupstadtkongress Entrepreneure Internetmedizin Foto by shari langemak

Foto via twittpic by @slangemak

Nun, ja, genau genommen machten wir das Interview nicht direkt im Anschluss an die Session, denn erst mal war Anstoß des WM-Spiels Deutschland vs.USA. Die Partie wurde auf einer Videowall in der Kongresshalle gezeigt und wir nutzten die Halbzeitpause für das Interview.

Hier der Mitschnitt im O-Ton, darunter eine schriftliche Zusammenfassung und zum Schluss einige persönliche Gedanken zu DrEd:

Zusammenfassung des Interviews

Wie viele Ärzte arbeiten bei euch?
Sechs. Zwei in Vollzeit, der Rest in Halbzeit.

Wie viele Patienten behandelt ihr pro Tag?
400-500 Patienten

Wie verteilen sich die Anfragen der Patienten auf die unterschiedlichen Sprechstunden?
Ein Drittel Frauengesundheit (Verhütung, Blasenentzündung), ein Drittel Männergesundheit (Potenzstörungen) und ein Drittel alles andere, zum Beispiel Malaria Prophylaxe, Heuschnupfen oder ein Folgerezept für Bluthochdruck.

Es könnte der Eindruck entstehen , dass ihr eine Art „virtueller Rezeptblock“ seid. Oder bietet ihr etwas darüber hinaus?
Wir sehen das nicht so, aber in der Tat sind viele unserer Behandlungen medikamentös. Patienten senden uns oft Fotos von Hauterkrankungen, da beraten wir ohne jegliche medikamentöse Therapie. Viele unserer Beratungen enden in einem Rezept, das sehen wir aber nicht als das Entscheidende. Wir liefern zusätzlich Patienteninformationen zu der Erkrankung über die DrEd Patientenakte. Der Patient kann sich zu jeder Zeit telefonisch oder über seine Akte bei uns melden und Fragen stellen.

Es gibt unterschiedliche Formen der Sprechstunde: Online Fragebogen, Telefon oder Video-Chat. Durchläuft der Patient alle 3 Wege oder kann er wählen?
Der Patient wählt den Weg. Die meisten wählen den asynchronen Weg und füllen nur den Fragebogen aus. Wenn dem Arzt noch Informationen fehlen, wird der Patient kontaktiert. Die Behandlungsgebühr ist ein Festpreis, unabhängig davon, welchen Weg der Patient wählt und ob einmal oder zehnmal hin-und-her kommuniziert werden muss.

Gibt man in den Fragebogen „ja“ an, öffnen sich weitere Fragen, gibt man immer „nein“ an, ist man zügig durch den Fragebogen durch. Glaubt ihr, dass Patienten teilweise falsche Informationen angeben, nur um schnell an ihr Rezept zu kommen?
Das können wir nicht ausschließen. wir appellieren an die Eigenverantwortlichkeit des Patienten. Wenn er unbedingt will, kann der Patient auch in der Hausarztpraxis lügen. Unsere Prämisse: wer sein Viagra unbedingt haben will, kann er es auch über dubiose Anbieter direkt im Internet bestellen. Bei uns sind es schon 40-50 Fragen, durch die er beantworten muss. Unser Feedback ist: die Meisten füllen es wahrheitsgemäß aus. Wenn unsere Ärzte Zweifel haben, lehnen wir den Patienten ab und verweisen an den Hausarzt.

Die Online-Fragebögen. Wer es eilig hat, wähle stets "nein". (Screenshot webseite Dred.com vom 1.7.2014)

Beispielhafter Online-Fragebögen, hier für die „Pille danach“. (Screenshot webseite Dred.com vom 1.7.2014)

Wie ist das Verhältnis zwischen Hausarzt und DrEd? Wie erfolgt die Kommunikation untereinander?
Wir sehen uns nicht als Alternative, sondern als Ergänzung. Nicht für jeden Patienten und nicht für jede Erkrankung. Bei jeder Behandlung fragen wir nach dem Hausarzt und informieren ihn, sofern der Patient dies wünscht. Wir können ihn nicht dazu zwingen, weisen den Patienten aber darauf hin, das dies wichtig ist für eine sinnvolle Behandlung. In England sind wir dazu verpflichtet.
In einigen Fällen bekommen wir ein Feedback von den deutschen Hausärzten, aber nicht besonders viel.
Wir modifizieren nicht die Therapie, sondern führen sie nur fort. wir weisen mehrmals darauf hin, dass Änderungen an der Therapie nur durch den Arzt vor Ort erfolgen kann.

Ist man als Patient bei euch immer dem selben Arzt zugeteilt?
Es behandelt immer der, „der gerade Dienst macht“. Allerdings kann der Arzt auf einen Track Record (Online Patientenakte) zurück greifen und sieht dort lückenlos alle Informationen der bisherigen Behandlung über DrEd.

Ist diese Patientenakte einsehbar für den Patient? Sieht der Patient „alles“, oder habt ihr einen nur für euch einsehbaren Bereich?
Ja, der Patient kann seine Akte jederzeit online einsehen. Es gibt auch Felder, die nur von uns befüllt werden und für den Patienten nicht sichtbar sind.

Themenwechsel: Wie habt ihr euch finanziert?
Wir haben anfangs selber Geld rein gesteckt und dann einen Angel Investor aus Hamburg mit rein genommen.

Seid ihr profitabel?
Nein, aber wir sind kurz vor Break-even.

Wo ist euer Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Online-Sprechstunden, abgesehen von dem Punkt, dass ihr in deutsch behandelt?
Unser USP ist, dass wir nicht nur einen europäischen Raum ins Auge fassen. Frankreich ist der nächste große Markt, den wir in Angriff nehmen.
Der zweite ist, dass wir die User Experience und die Patient Journey besonders wichtig nehmen. Wir haben auch unsere mobile Darstellung auf dem Smartphone wesentlich besser gelöst als unsere Wettbewerber. Als wir vor 2 1/2 Jahren gestartet sind, lag die mobile Zugriffsrate bei unter 20%, jetzt sind es rund 50%.
In England haben wir durch Kooperationen mit unterschiedlichen Partnern unsere Prozesse so optimiert, dass wir ein Rezept in 90 Minuten an den Patienten liefern können. Amazon Prime!

Beim Vergleich unterschiedlicher Online-Sprechstunden entsteht der Eindruck, dass alle das selbe Leistungsspektrum haben. Hängt das mit gesetzlichen Vorgaben zusammen oder habt ihr alle „voneinander abgeschaut“?
Das ist nicht ganz richtig. wir sind enger, weil wir medizinisch verantwortlicher sind. Wettbewerber bieten Therapien an zum Beispiel für Depressionen oder Schlafstörungen. Da sagen wir, dass wir als ausschließlich telemedizinisch arbeitende Ärzte dies nicht leisten können. Die 14-jährige Magersüchtige, die weiter ihre Medikamente haben möchte, da nehmen wir uns raus. Regulatorisch ist das zulässig, aber für uns ist das nicht verantwortbare Medizin.

Da kommen vielleicht eure deutschen Wurzeln durch und eure Hemmschwelle liegt höher?
Ich glaube, das ist für uns nicht „Good Medical Practice“. Aber es gibt keinen gesetzlichen Grund, dies nicht zu tun.

Screenshot Dr.Fox

Nicht verantwortungsvolle Medizin? Dr. Fox als eines der „Schawarzen Schafe“? (Screenshot Webseite Dr.Fox vom 1.7.14)

Gibt es also „schwarze Schafe“ in der Szene, von denen ihr euch eventuell auch distanzieren möchtet?
Ja, die gibt es, zum Beispiel  Dr.Fox und healthexpress [Anmk.: auch in deutscher Sprache]. Die geben dem Patienten schon die richtigen Antworten vor um ihn möglichst smooth durch den Fragebogen zu leiten. Die sagen: wenn du diese Antwort gibst, können wir dir kein Rezept ausstellen. Wir bei DrEd haben eine Rückweisungsquote von ca. 20%.  Wir sagen dann dem Patienten, dass wir ihn nicht behandeln wollen, weil wir in seinem Fall keine verantwortungsvolle Medizin praktizieren können.

Die „Care Quality Commission“ ist eine englische Regulierungsbehörde, der ihr unterstellt seid.Wie sieht die Überwachung aus?
Man muss sich registrieren, der Prozess dauert 6-9 Monate. Die Überwachung sieht so aus, dass sie unangemeldete Audits machen. Das ist schon 2 mal vorgekommen. Sie stehen um 9 Uhr morgens bei uns auf der Matte, schauen sich die Patientenakten und unsere klinischen Leitlinien an. Sie hören zu, wie unsere Damen am Telefon mit den Patienten reden und schauen, wie wir die Akten archivieren oder abends wegschließen. Wir gehen davon aus, dass 2014 auch wieder jemand vorbei kommt.

In 2013 gab es sehr viel Kritik in der deutschen Presse. Dr. Montgomery sagte „Diagnose und Behandlung allein über das Internet können nicht im interesse des Patienten sein“ (Quelle). Wie magst du dazu Stellung beziehen?[Jubel aus der anderen Ecke der Kongresshalle. Deutschland geht kurz nach Beginn der 2. Halbzeit mit 1:0 in Führung]
Sie gehen von der deutschen Rechtssituation (Fernverhandlungsverbot) aus. Ich glaube an die Reglung in anderen europäischen Ländern, nämlich das der Arzt selber entscheiden kann, wann und bei welchem Patienten er aus der Ferne behandeln kann und will. Der Arzt kann im individuellen Fall selber am besten beurteilen was richtig ist. In England kann der Arzt aus der Ferne behandeln, wenn er dies für medizinisch verantwortlich hält. Die Schweiz macht das so, ebenso Skandinavien. Wir glauben, dass es sehr viel Behandlungsfälle gibt, bei denen wir sehr sicher eine Behandlung aus der Ferne durchführen können.
In Deutschland kostet die Behandlung beim Arzt erst mal nichts. wir durchbrechen diesen „mindset“. Wir bieten eine besondere Leistung und nehmen dafür Cash, dann muss der Patient diese Leistung auch wert schätzen. Ich denke, man wird die Entwicklung nicht aufhalten können. Wer sich letztlich durchsetzt, wir oder andere Anbieter, man wird es sehen.

Der Berufsverband der Frauenärzte vermeldete „Ein Beratungsgespräch zur Pille danach sollte beim Frauenarzt im schnitt 15-20 Minuten dauern. dabei informieren wir auch über eine mögliche Verschreibung der Antibabypille oder Geschlechtskrankheiten. Das kann ein einfacher Fragebogen nicht leisten“ (Quelle). Stimmt das?
Das ist totaler Quatsch aus zwei Gründen. Erstens: die Realität sieht anders aus. Die Frau geht in die Praxis, wartet,bekommt ihr Rezept in 5 Minuten und muss dann in die Apotheke rennen. Die Frauen geraten in eine sehr unnötige, belastende Situation. Zweitens: wenn die Frau bei uns die „Pille danach“ anfordert, bekommt sie sehr wohl Informationen zu Verhütungsmethoden und Geschlechtskrankheiten. Wir klären sie auf über die Risiken, die die „Pille danach“ mit sich bringt und das sie nicht die normale Form der Verhütung sein kann. Diese Informationen kann die Frau bei uns auch jederzeit wieder abrufen. Die „Pille danach“ ist in 30 europäischen Ländern rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Wir sehen, das Frauen damit im wesentlichen verantwortungsvoll umgehen. Wir möchten nicht am Rezept für die „Pille danach“ verdienen, wir möchten den Frauen einen Zugang geben, dass sie schneller an de „Pille danach“ kommen können. Es ist doch ganz einfach: wenn die Frauen einen guten Zugang zum Gynäkologen hätten, dann würden sie nicht online gehen.

Letzte Frage: beim Vergleich der deutschsprachigen und der englischsprachigen Seite von DrEd fällt auf, dass ihr unterschiedlich kommuniziert. Auf Deutsch steht zum vorzeitigen Samenerguss „Hilfe, wenn sie zu schnell kommen“, auf Englisch ist „last up to three times longer“ zu lesen. Bei Haarausfall steht „Medikamente können Haarausfall verhindern“ einem „Works for nine out of ten men“ gegenüber. Muss man in Deutschland anders kommunizieren, oder warum habt ihr nicht eins-zu-eins übersetzt?
In England ist der Begriff und die Leistung eines „Online Doctor“ schon wesentlich mehr Mainstream. Es ist ein gängigerer Prozess sich online beraten zu lassen oder ein Rezept zu bekommen. Außerdem sind die Engländer mehr „to the point“. Die sehen das eher als Lifestyle und weniger als Medizin. In Deutschland sehen wir das deutlich mehr als ärztliche Leistung. Gesundheitsmärkte sind so unterschiedlich, da muss man sich jeden Markt einzeln ansehen. nicht nur das Angebot, sondern auch die Sprache und die lokalen Gegebenheiten.“Three times longer“ ist für deutsche Adressaten einfach nicht das Richtige.

Kommunikation "to the point". Online-Ärzte werden in England eher als Lifestyle und weniger Medizin verstanden. (Screenshot https://www.dred.com/uk/ vom 1.7.2014)

Kommunikation „to the point“. Online-Ärzte werden in England eher als Lifestyle und weniger als  Medizin verstanden. (Screenshot https://www.dred.com/uk/ vom 1.7.2014)

David, vielen Dank für das Interview und dass Du auch noch über die Halbzeitpause hinaus dabei geblieben bist!.

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Persönliche Gedanken zu DrEd

Persönlich würde ich einen Arztbesuch einem Onlinedienst vorziehen.Jede Form der Online Kommunikation (Text, Sprache oder Video-Chat), egal ob mit dem Arzt, dem Geschäftspartner oder einem guten Freund, geht mit Informationsverlusten einher und ist grundsätzlich einem Face-to-Face Gespräch unterlegen. So können zum Beispiel Körpersingnale wie Gestik, Haltung, Ausdruck, Mimik nicht oder eingeschränkt wahr genommen werden. Dadurch, dass man sich bei dem Leistungsspektrum von Onlinediensten auf Erkrankungen beschränkt, bei denen diese Faktoren nur eine geringe Rolle spielen, kann das Risiko minimiert werden. Ein medikamentös gut eingestellter Asthma Patient kann sich den Weg zum Arzt sparen,indem er das Folgerezept für sein Asthma-Spray über DrEd bestellt.

Onlinedienste setzt eine Selbstverantwortung des Patienten voraus: er muss selber abschätzen können, ob er in seinem Fall die Online-Variante oder einen realen Arztbesuch vorziehen sollte. Einem chronisch Kranken, der seine Erkrankung gut kennt und gelernt hat mit ihr umzugehen, ist dies sicher zuzutrauen. Dennoch: schaden tut es sicher auch nicht, wenn der Arzt „noch mal einen Blick auf den Patienten werfen“ kann und so die Gelegenheit hat, den Krankheitsverlauf des Patienten zu verfolgen.

Eine Vielzahl der Angebote von DrEd liegt bei den sogenannten „peinlichen Anliegen“ (z.B. Erektionsstörungen, „Pille dannach“ oder Haarausfall). Hier ist es vielleicht weniger Bequemlichkeit als Scham, dass die virtuelle der realen Arztpraxis vorgezogen wird. Argumentiert wird, dass eine Online-Behandlung immer noch besser sei als gar keine Behandlung. Denn diese Gesundheitsprobleme haben bekanntermaßen einen besonderes hohen Leidensdruck und sollten daher nicht unbehandelt bleiben.

Das schnelle, anonyme DrEd-Rezept unterwandert allerdings auch, dass der Patient überhaupt seine Hemmschwelle überwinden muss, um das intime Problem mit dem (Haus-)arzt zu teilten. In diesem Fall wäre vielleicht auch eine Option auf eine ganzheitliche Therapie denkbar gewesen, die über ein Rezept hinausgeht. Macht DrEd also Geschäft mit der Scham des Patienten?

Hin oder her, den Patienten ist dies scheinbar schnuppe. Über die Feedback Möglichkeiten auf der DrEd Webseite kommt seltenst Kritik, die Nutzer bewerten den Service von DrEd sehr gut. So gut, dass selbst David davon „überrascht war“, wie ihm während seiner Präsentation raus rutschte.

Oder ist das klassische Gesundheitssystem von seiner „User Experience“ so schlecht, ist die „Patient Journey“ so frustrierend geworden, dass die schnellen, unkomplizierten und Service-orientierten Onlinedienstleistungen leicht zu Lieblingen der Patienten werden? Dann wäre die Kritik der bestehenden Gesundheitsstrukturen an DrEd & Konsorten nur ein Ablenkungsmanöver von den eigenen Problemen, die letzendlich erst den Nährboden für Geschäftsmodelle wie DrEd liefern.

Fazit

Der Patient nimmt durch Online-Angebote seine Gesundheit zunehmends selbst in die Hand. Er muss sich dabei aber gleichzeitig bewusst sein, dass er damit auch die Verantwortung selber übernimmt. Dieses Bewusstsein muss vielleicht bei dem einen oder anderen erst noch geschaffen werden.

Online-Dienste bieten Nischenlösungen und stellen eine Ergänzung zum bestehenden Gesundheitssystem dar.Sie wollen und können es nicht ersetzen. Von einer vollwertigen, virtuellen Arztpraxis sind wir also (zum Glück?) noch Lichtjahre entfernt. Die „Heilungskräfte“ des Internets sind (noch) beschränkt. Ernüchternd, aber wahr.

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Anhang
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– Die Folien des Vortrags von David Meinertz auf dem Hauptstadtkongress hat er mir freundlicherweise überlassen und ich habe sie hier hinterlegt.

– Wie im Interview angesprochen, gab es vor nicht ein mal 2 Monaten auch ein sehr informatives Interview von Dr.Johannes mit David:

Ein Jahr Bundesverband Internetmedizn – oder: warum ich (noch) nicht Mitglied bin

Logo des Bundesverband Internetmedizin BiM

Das Logo vom Bundesverband Internetmedizin (kurz:BiM). Warum ist das „i“ eigentlich klein?!

Am 23. November 2012, also vor über einem Jahr, wurde der Bundesverband Internetmedizin (kurz: BiM) ins Leben gerufen. Erst mal Herzlichen Glückwunsch nachträglich!
Ich sehe deutlich Potential für einen derart gearteten Verband in Deutschland und ich begrüße, „dass es überhaupt endlich mal einer gemacht hat“. Wenn der BiM dieses Potential aber für sich gewinnen will, muss er sich aber ran halten.
Ich habe den Verband von Anfang an sehr genau beobachtet und es ist an der Zeit Resümee zu ziehen. Meine Erwartungen hat er jedenfalls bisher nicht erfüllen können.

Internetmedizin – Was ist das?

Das habe ich mich als Erstes gefragt. Internetmedizin? Begriff noch nie gehört. Kein Wikipedia Eintrag. Auch kein englischsprachiges Pendant.  Auf der Webseite des Vereins findet sich unter Ziele ein Erklärungsversuch, der wage erahnen lässt, was gemeint sein könnte. Ein Blick in die Satzung (vom 23.11.2011(?!), vermutlich 23.11.2012 gemeint): „Zweck des Vereins ist die Förderung, der Informationsaustausch, die Selbstkontrolle und die Interessenvertretung der Internetmedizin in Deutschland und deren internationale Vernetzung“. Da ist es wieder, dieses undefinierte Unwort, das sich gebetsmühlenartig durch die gesamte Kommunikation des Verbandes zieht.

Der Begriff Internetmedizin spricht natürlich für sich, und jeder kann sich wohl etwas darunter vorstellen. Aber vielleicht nicht jeder das Selbe. Der Begriff soll scheinbar als großen Rundumschlag alles abdecken, was irgendwie mit Internet und Medizin zu tun hat. Und alles darüber hinaus, und dann auch wieder nicht. „Nutzlose Gesundheitstipps“ braucht natürlich keiner und alles bitte schön „seriös“.

[Edit 01.04.2014: Es gibt mittlerweile eine Definition „Internetmedizin bezeichnet die interaktive Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen unter Nutzung des Internets und seiner Applikationen“. Quelle: Interview veröffentlicht am 18.03.14 auf healthbytes.de]

Die Macher des Verbandes

Ein weiterer Erklärungsansatz findet sich auf einer externen Seite, verfasst von Markus Müschenich, einem der Vorstände des Verbandes. In diesem Artikel wird versucht, eine Entwicklung von Telemedizin über e-Health zur „Internetmedizin“ auf zu zeigen, dabei aber die Begriffe Telemedizin und e-Health, sagen wir mal, sehr individuell für sich auslegt. Die Story von der Internetmedizin als letzten Evolutionsschritt von Technologie im Gesundheitswesen hat schon bei der Präsentation auf der re:publica13 Verstörung bei mir hervorgerufen.

Nun gut, nehmen wir den Begriff „Internetmedizin“ mal als gesetzt hin, und wer in benutzen möchte, kann dies gerne tun. Mir drängt sich nur der Verdacht auf, man wolle etwas neues, quasi eine „eigene Marke“ produzieren. Wir sind Pabst. Wir sind Internetmedizin. Ein weiteres Vorstandsmitglied der Anwalt Sebastian Vorberg, bezeichnet sich selber auch gleich als „Spezialist für Internetmedizin“.


Wer sich ein Bild machen möchte, dem sind auch die weiteren Videos in seinem Youtube-Channel empfohlen, zum Beispiel Internetmedizin ist käuflich.

Im Zusammenhang mit dem Verband sind öffentlich in Erscheinung getreten u.a. noch der Urologe Jens Orthmann und als Institution die Ärztegenossenschaft Nord eG.
Was meines Ermessens in der Gründer- und Vorstandsriege allerdings fehlt, ist Player mit fundiertem technischen Know-how, zum Beispiel der IT-Leiter (CIO) eines IT/Internet-Unternehmens im Gesundheitsbereich oder ein Medizininformatiker.

Und ein weiteres Loch klafft: wo sind Wissenschaft und Forschung? Die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) bindet diese klar mit ein und auch bei der Deutsche Gesellschaft für Gesundheitstelematik (DGG e.V.) sind solche Tendenzen feststellbar. Oder zielt man beim BiM auf reine Industrie-Lobby-Arbeit a la Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg e.V.) ab?

Was wurde erreicht? 

Die Ziele (siehe Link oben) sind ehrgeizig aber an sich alle ganz ok. Bisher fehlt aber jeder Hinweis, inwiefern an diesen Zielen gearbeitet wird oder ob sich schon Resultate ergeben haben. „Der Weg des deutschen Gesundheitswesens ins Internet bedarf enger Kooperation und Gesprächsoffenheit aller beteiligten Player. Der Bundesverband Internetmedizin (BiM) soll sich hierfür zu einer zentralen Plattform entwickeln“, ist auf der Webseite zu lesen. Vielleicht kann man im 1. Jahr des Bestehens nicht allzu viel erwarten, aber Ansätze sollten doch deutlich werden. Schließlich setzt sich ein Verein aus Mitgliedern zusammen, die eine Beitrag bezahlen (Einzelperson: 75€, Unternehmen/Institutionen je nach Größe zwischen 175-1.000€ pro Jahr) und dementsprechend auch Anspruch auf ein Feedback haben. Und auch das potentielle Neumitglied könnte durch sichtbare Aktionen, einschließlich mir, von einer Mitgliedschaft überzeugt werden.

Quo vadis, BiM?!

Der Vorstand Müschenich ist seit jeher auf diversen Veranstaltungen im Gesundheitswesen präsent und vertritt dort gerne die Position des Outlaws und fällt durch spektakuläre Äußerungen auf. Zitat vom 9. Gesundheitskongress zur Zukunft des Gesundheitswesen in Deutschland: „Am besten wäre eine gezielte Sprengung!“. Vertrauen bei Kostenträgern und Leistungserbringern wird dadurch sicher nicht geweckt, obwohl man die ja gerne als Mitglieder im Boot hätte (und vermutlich auch bräuchte). Bild in meinem Kopf: Müschenich als Anführer einer jungen wilden Generation, die das Gesundheitssytem endlich grundsätzlich verändern und in die Jetztzeit holen will? So ein bisschen Chaos Computer Club (CCC) und Piraten für das deutsche Gesundheitswesen? Gerne, warum nicht. Aber warum dann so ein biederes „Bundesverband-Konstrukt“ ? Also martert mich wieder die Frage: was wollen die nun eigentlich? Der CCC hat seine Ziele von Anfang an gewusst und ist sich bis heute treu, die Piraten sind an ihrem unklarem Profil gerade von den Wählern abgestraft worden.

Fazit

Der BiM bleibt einer klaren Definition schuldig, was Internetmedizin ist, geschweige denn, wie sie sich von anderen Begriffen abgrenzt, zum Beispiel Telemedizin oder e-Health. Mal werden die Begriffe „gebashed“, dann wieder an anderer Stelle für sich eingenommen.

Die geleistete Arbeit ist für einen „Bundesverband“ etwas dünn. Das wäre ok, wenn man sich etwas dezenter betitelt hätte (sowas wie „Verein zur Förderung der Internetmedizin e.V“). Wer aber den „Bundesverband“ ausruft, weckt Erwartungen und begibt sich in gewisser Weise auch in eine Bringpflicht.

Die Kommunikation des BiM wirkt uneinheitlich, ein klarer roter Faden ist nicht immer erkennbar. Vielleicht ist man sich intern selber noch nicht ganz im klaren, was man genau will (und was nicht). Es wird mehr eine Vision präsentiert, weniger ein fundiertes Konzept.Oder es wurde nicht erreicht, dies adäquat rüber zu bringen.
Mir zumindest nicht.

Ausblick und Gute Wünsche für 2014

Vielleicht werden ja intern im BiM schon Dinge bewegt oder angestoßen, die noch nicht in die Öffentlichkeit getragen wurden und mir daher noch nicht ersichtlich waren. Dann blicke ich gespannt auf das, was 2014 bringen wird.

Zum 2. Geburtstag werde ich sicherlich wieder einen Artikel schreiben. Ich wäre froh, wenn ich diesen guten Gewissens mit „Warum ich mittlerweile Mitglied im Bundesverband bin“ betiteln könnte.

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Der Traum von Professional Mobile Health – und die limitierenden Faktoren der Realität

Kommen mobile Endgeräte im Zusammenhang mit medizinischen Anwendungen zum Einsatz wird von Mobile Health (kurz m-Health). Dabei kann man Professional Mobile Health, also den Einsatz durch medizinisches Fachpersonal in Gesundheitseinrichtungen,  von Consumer Mobile Health abgrenzen. Dies sind zum Beispiel in App Stores verfügbare Apps, die keiner Kontrolle unterliegen und oft auch im Wellness /- Lifestyle-Bereich angesiedelt sind. Klassiker sind Ernährungsberater, Fitnesstrainer, oder Anwendungen zur Erfassung von Messwerten (Blutzucker, Blutdruck) oder Wohlbefinden (Schmerz, Stimmung).

Smartphones & Tablet PCs sind allgegenwärtig  Über die Kitteltaschen des medizinischen Fachpersonals haben sich mobile Endgeräte auch längst in die Kliniken eingeschleust. Und natürlich fragt sich der Arzt auf Station früher oder später, warum diese praktischen kleinen Dinger aus dem Privatgebrauch nicht auch auf Station für Datenerhebung und Dokumentation eingesetzt werden. Auch Patienten nutzen zunehmend Smartphones mit angedockten Sensormodulen oder diverse Apps, um ihre Gesundheitsdaten zu erfassen. Beim Aufnahmegespräch in der Klinik oder in der Hausarztpraxis bleibt dem Arzt dann oft nichts anderes übrig, als sich die digital vorhandenen Werte vom Display auf einen Bogen Papier abzuschreiben.

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Einen Weg des elektronischen Datentransfers vom Endgerät des Patienten zu der medizinischen IT Infrastruktur muss er Schulter-zuckend verneinen. Für Patient (und eventuell den behandelnden Arzt) entsteht so der Eindruck der Rückständigkeit des Gesundheitssystems. Dies bedingt einen zunehmenden Druck „von innen“ auf die IT-verantwortlichen der Krankenhäuser.

Die Industrie steht unter Druck

Dieser Druck wurde postwendend an die Hersteller von Soft- oder Hardware für den Gesundheitssektor weitergegeben. Bedeutet das für diese Anbieter nicht ein neuer Markt?! Bedingt. Erst einmal sind nämlich nicht unerhebliche Investitionen nötig: sie haben von Haus aus nicht die Kompetenzen für mobile Technologien. Das heißt, sie müssen entweder ein spezialisiertes Developer-Team aufbauen oder Know-how und die Entwicklung von extern zukaufen bzw Kompetenzpartner hinzuziehen.

Zum richtigen Zeitpunkt am Start war hier die xonion GmbH: sie hat sich auf Mobile Healthcare IT spezialisiert und bereits zwei Krankenhausinformationssysteme „mobil“ gemacht. Einerseits das von Agfa Healthcare angebotene ORBIS ME!- Mobile Version sowie  MCC.Mobile von Meierhofer.

Leider sind die Krankenhäuser aber oft gar nicht bereit, zum Beispiel für eine mobile Variante des im Einsatz befindlichen Krankenhausinformationssystems (KIS) Geld auszugeben. Dies wird vielmehr vom KIS-Anbieter als „kleine“ Zugabe oder Update voraus gesetzt. Die IT Verantwortlichen der Kliniken stehen in einer guten Verhandlungsposition und sind „Zugaben“ gewohnt, da der KIS Markt heiß umkämpft ist und der Verlust eines Kunden für einen Anbieter schmerzlich ist. Im Umkehrschluss bieten mobile Lösungen aber ein Alleinstellungsmerkmal (USP) und somit Vorteile bei der Neukundengewinnung.

Mobile Health Startups haben es schwer

 Natürlich gibt es auch eine Reihe von Startups, die mit viel Elan genau diesen Markt besetzen wollen. Allerdings treffen sie auf den sehr konservativ geprägten Markt der Health IT. Als neuer „Player“ hat man es dort sehr schwer. Wie bereits erläutert gibt es eh nicht viel Geld zu verteilen und zweitens stellen sich die alten Branchenriesen insgeheim auch quer: immerhin könnte man Mobile Health auch als disruptives Element für ihre bestehenden Ertragskanäle ansehen. Und es lassen sich auch leicht Argumente finden, die Professional Mobile Health in Frage stellen.

Consumer Electronics vs. Medizintechnik

Schließlich muss einem klar sein, dass es sich bei Smartphones oder Tablet PCs schlichtweg um Consumer Electronics handelt, nicht aber um medizintechnische Produkte. Sie sind nicht darauf ausgelegt, die hohen Anforderungen im Klinikalltag an Sicherheit, Robustheit, Desinfizierbarkeit etc. zu erfüllen, und die Hard- und Software kann auch leicht an denn gesetzliche Auflagen oder Normen (CE, ISO, Medizinproduktegesetz etc.) Schiffbruch erleiden. Ebenfalls typisch für Consumer Electronics: die kurzen Lebenszyklen der Produkte. Alle 1-2 Jahre kommt eine neue Produktversion auf den Markt, bestes Beispiel hier das iPhone. Im Jahre wurde es 2007 eingeführt, in diesem Jahr bereits das iPhone 5 vorgestellt. Medizintechnik hingegen ist traditionell auf Langlebigkeit ausgelegt und greift bevorzugt auf altbewährte Technologien zurück. Wie wird man damit im Gesundheitssektor umgehen?! Die mobilen Endgeräte jedes Jahr kostenintensiv austauschen? Oder an einer Version „hängen bleiben“ und damit in 5 Jahren mit dem iPhone5 genauso rückständig erscheinen wie jetzt ohne?!

Erst mit der elektronischen Patientensakte macht Mobile Health richtig Sinn

Wurde früher im Gesundheitswesen alles auf Papier notiert und in Patientenakten gesammelt, werden zunehmend Daten digital erfasst. Diese werden dann wiederum ausgedruckt und der Papierakte hinzugefügt. Das führt jetzt schon zu einer doppelten Buchführung und Verwirrung: man muss oft an 2 Stellen suchen, bevor man einen Befund gefunden hat. Wir haben auch keinen Vorteil, wenn die Krankenschwester auf Ihrem Stationsrundgang Messwerte am Patientenbett ganz „smart“ in den Tablet PC eingibt, diese dann aber anschließend altbacken auch in die Papierdokumentation über tragen muss. Es liegt also ein Medienbruch vor.

Erst wenn die gesamte Dokumentation in der Klinik oder der Arztpraxis digital erfolgt und wird die Blütezeit der mobilen Endgeräte beginnen: nahtlos werden Daten mobil erfasst und an die IT-Infrastruktur übertragen. Alle Informationen stehen jedem mit Zugangsberechtigung in Realtime zur Verfügung.

In der Forschung passiert viel

Theoretisch sind wir schon viel weiter. In unzähligen Pilotprojekten, vor allem aus dem Umfeld der Telemedizin, ist Machbarkeit längst nachgewiesen. Die technischen Hürden lassen sich überwinden. Doch: für welchen Preis? Und: Ist der technische Aufwand gerechtfertigt? Bedeutet der Einsatz von Mobile Health einen wirklichen Benefit für den Patienten? Oder ist es nur eine Luxusvariante und Spielerei für medizinisches Fachpersonal? Sind mobile Endgeräte für das Gesundheitswesen ein must-have oder nur ein nice-to-have?! Die Klärung dieser Fragen wird sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen und somit der flächendeckende Roll-out mobiler Technologien im Gesundheitsdienst auf sich warten lassen.

Der Markt der Gesundheits-Apps boomt

Unberührt von den Diskussionen im professionellen Gesundheitsmarkt über Sinn und Zweck von mobilen Anwendungen explodiert das Angebot von Gesundheits-Apps. Schätzungen rechnen mit 100.000 Mobile Health Apps für Ende 2012. In einer unüberschaubar gewordenen Flut an Anwendungen wird es für den Nutzer auch immer schwerer adäquate Produkte in seinem App Store zu finden. Die Qualität schwankt sehr  stark und wirklich gute Anwendungen leider eher selten zu finden.

Zusammengefasst habe ich meine Überlegungen zu Mobile Health auch in einem Impulsvortrag beim 1.Barcamp Health IT in Berlin, hier meine Folien: