Shutdown: „Information on this website may not be up to date“ – Krisenmanagement auf den Webseiten der U.S. Gesundheitsbehörden

Information on this website may not be up to date FDA

Wir sind dann mal Weg. Für knapp 2 Wochen waren die e-Government Strukturen der USA „eingefroren“. Auf diversen staatlichen Webseiten befanden sich Hinweistafeln wie auf diesem Bild. 
(Screenshot Webseite U.S. Food and Drug Administration vom 14.September 2013; www.fda.gov)

Am 1. Oktober schlossen, neben allen anderen U.S.-amerikanischen Ämtern, auch die Gesundheitsbehörden kurzerhand ihre Pforten. Bis auf eine Notbesetzung wurden die Mitarbeiter nach Hause geschickt. Der Spuk scheint erst mal vorbei, Obama hat ein paar Schuldscheine unterschrieben und gestern, am 17. Oktober sind alle wieder an ihre Schreibtische zurückgekehrt.

Wie ist der Einfluss dieser Krise auf die Verfügbarkeit von Internet-basierten Gesundheitsinformationen?

Die Überlegenheit des Internets gegenüber anderen Medien liegt in seiner Aktualität und seiner leichten Zugänglichkeit. Ersteres hat es in den letzten 2 Wochen eingebüßt. Wenn durch Gesundheitsbehörden nur die wichtigsten aktuellen medizinische Informationen weitergegeben werden und Zweitrangiges gedrosselt oder verzögert die Ärzte, Apotheker, Institutionen oder einfach auch den Bürger erreicht, entsteht eine beunruhigende Lücke.

Die Biomedizinischen Bibliothek der Vanderbuilt University hat eine Auflistung der „Federal Resources“ erstellt, die betroffen sind bzw. waren. Dieser Art „Notstandsbericht“ wurde in den letzten Wochen ständig aktualisiert und ergänzt. Jetzt werden 13 Quellen aufgelistet. Hier ein paar Auszüge:

„…will not be updated or maintained…“  – Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ)

„…only reports on immediate health threats.“ – Morbidity and Mortality Weekly Report

„…have been shut down…“- Education Resources Information Center (ERIC)

„…currently not receiving any record or data updates…“ – Ovid MEDLINE

„…will be kept as up to date as possible…“ – PubMed

„Es waren ja nur 2 Wochen“ könnte man sagen. Und man war ja auch nicht offline sondern es wurde einfach nur nicht aktualisiert.  Aber noch gestern war unklar, wie lange der Shutdown noch anhalten sollte. Und mal rein hypothetisch: wenn der Staatsbankrott eingetreten wäre?
Bleibt es bei diesem einmaligen Ausnahmezustand oder müssen wir uns in den kommenden Jahren daran gewöhnen, dass bei Krisen halt der Informationsfluss „mal wieder“ stockt?

Gerät die „Vorreiterrolle“ Amerikas ins Wanken? Platt daher gesagt: was heute auf den Webseiten der U.S. Gesundheitsbehörden steht, wandert morgen in die Gremien der entsprechenden europäischer Institutionen und landet dann übermorgen in adaptierter Form auf den eigenen Webseiten. Ich habe das schräge Bild von Däumchen drehenden Admins der europäischen Behördenwebseiten vor meinem inneren Auge.

Die Bedeutung der medizinischen Datenbank Medline

Es wird jetzt sicherlich gespart werden müssen und die knappen Kassen könnten zu einem generellen Qualitätsverlust medizinischer Informationsquellen aus den USA führen. Und dies ist dann nicht nur ein amerikanisches Problem. Ein Beispiel: die wichtigste und mit Abstand größte biomedizinische Datenbank Medline (Zugänglich zum Beispiel über das Portal PubMed) ist essentiell für die gesamte medizinische Forschungslandschaft in Deutschland (wie auch in jedem anderen Winkel der Erde).
Auch Medline war Opfer der Zwangspause.

pubmed - lapse of government funding

Man ist sichtlich bemüht, das Beste draus zu machen. Infotext auf der Webseite PubMed, einer Weboberfläche zum durchsuchen der Datenbank Medline: „Due to lapse in government funding, PubMed is being maintained with minimal staffing. Information will be updated to the extent possible, and the agency will attempt to respont to urgent operational inquieries“. (Screenshot von letzter Woche; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed)

Man stelle sich mal vor Google hätte am 1.Oktober aufgehört, neue Seiten zu indizieren bzw. auf bestehenden Seiten nach Neuigkeiten zu suchen und diese mit aufzunehmen. Rasch hätte es nur noch den Wert eines Telefonbuches, eines 20-bändigen, Staub fangenden Lexikon im Bücherregal. Google im Leerlauf. Die durchschlagende Kraft, dem entscheidenden Mehrwert von Google liegt aber gerade in der Aktualität. Auf das „was passiert jetzt gerade“ können und wollen wir nicht mehr verzichten. Das gilt natürlich für medizinische Datenbanken genauso.

Noch mal anders gesagt: Medline hat sich als die Grundlage jeder medizinischen Recherche entwickelt und ist nicht mehr weg zu denken. Sie besticht durch freien kostenloser Zugang; ist die Umfangreichste. Irgendwie so wie Google halt.
Diese Krise macht nun aber deutlich, dass sich die weltweite Forschungslandschaft an eine Datenbank gehängt hat, die Teil einer U.S. Behörde ist. Das Vorhandensein DER „Suchmaschine“ für medizinisches Wissen ist an das Wohlwollen (oder in diesem Fall: der finanziellen Situation) genau dieser Behörde gekoppelt.

EMBASE: der europäische kleine Bruder von PubMed

Medline ist nicht alles. Es gibt Alternativen. So zum Beispiel EMBASE. Und, -Na, Gott sei Dank-: sie liegt auf europäischen Servern. Gemessen an den enthaltenen Publikationen kann sie sich sehen lassen und liegt weltweit, zwar mit etwas Abstand, auf Platz zwei hinter Medline im Ranking der medizinischen Datenbanken. Sehr viele Publikationen sind auch in beiden Datenbanken gelistet, EMBASE ist traditionell stärker bei Veröffentlichungen aus dem Europäischem Raum. EMBASE hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: sie ist nämlich in Besitz eines Unternehmens: Der niederländischen Elsevier B.V., einem (gigantischen) wissenschaftlichen Fachverlag. Grundsätzlich ist einem ja so rein gefühlsmäßig eine staatlich geführte Datenbank sympathischer. Und es ist auch anzunehmen, dass Publikationen aus dem eigenen Hause bevorzugt eingepflegt werden und erst dann Veröffentlichungen von anderen Publishern.  Viel entscheidender: sie ist kostenpflichtig, also nicht frei zugänglich. Universitätsbibliotheken müssen eine Lizenz erwerben, um sie in ihren Datenbankkatalog aufzunehmen. Bei straffer Finanzlage ist EMBASE auch bei weitem nicht in allen deutschen medizinischen Hochschulen gelistet. Auch die Bibliotheken verlassen sich also notgedrungen auf das (bisher) allgegenwärtige Medline.

Kurzfristig bleibt der Fachwelt erst mal nichts anderes übrig als zu hoffen, das es sich bei „Updatepause“ um eine einmalige Angelegenheit handelte. Langfristig wäre eine Alternative aber schon wünschenswert, schon allein um Unabhängigkeit und Verfügbarkeit zu gewährleisten. Eine Lösung könnte zum Beispiel eine Medizinische Datenbank unter dem Dach der WHO sein.

Fazit

Amerika stand kurz vor dem finanziellen Ruin und ich befasse mich hier episch mit der Nebensächlichkeit kurzzeitig nicht aktualisierten, biomedizinischen Datenbanken und Webseiten von U.S. Gesundheitsbehörden?

Nun, mir fehlt der Überbick und die Hintergrundinformationen, was da gerade in seiner Gesamtheit in Amerika passiert. Dazu müssen sich andere auslassen. Nur ein Aspekt irritiert mich: es wird beschwichtigt: das mit dem Shutdown sei alles nur politische Show und die Wirtschaft in den USA stehe gut da. Prima, nur wenn der Staat jetzt schon Pleite ist, wie wird es dann um den Finanzhaushalt stehen, sollte es der Wirtschaft mal nicht so rosig gehen?

Diese Webseite befasst sich mit „Medizin und Neuen Medien“, die Auswirkungen der Krise auf diesen Bereich –und sei er noch so unbedeutend, doch nur für ihn kann ich sprechen– erfüllt mich mit einem sehr unguten Gefühl.

Im internationalen Vergleich mag die amerikanische Gesundheitsbehördenstruktur und Forschungslandschaft etwas aufgebläht erscheinen. Wenn es ans „Priorisieren“ in einer Krisensituation geht, mag da ein Runterschalten für 2 Wochen als Kolateralschaden hingenommen werden. Ich befürchte aber, das jetzt nicht alles weiter geht wie zuvor, sondern dieser Bereich insgesamt zurück gefahren wird.
Ist  die weltweit größte biomedizinische Datenbank in den USA gut aufgehoben? Bisher war der Standort selbstverständlich, ja fast logisch. Früher oder später könnte er zu einem Problem werden.

Wie ist es einzuordnen, wenn ein Staat seine Gesundheitswebseiten, die vermutlich primäre Informationsquelle für den Bürger, 17 Tage lang nicht aktualisiert?