Health Startups aufgepasst: 4 Venture Capitalists in der Diskussion

Heute mal eine Eventankündigung:

vc panel-health 2.0 Berlin

Health 2.0 Berlin announces the 1st Venture Capital Panel for health entrepreneurs planning to build a health care startup or seeking funding for their existing health startup. Four Berlin based VCs specialized in Health Care investments will be asked challenging questions. In a panel discussion You will get to know what really counts for investors. What makes a health care startup suitable for funding? A compelling solution solving a real problem? Fast revenue and profit? What counts and why?

REGISTER NOW
Come to the Health 2.0 Berlin VC panel on Wednesday Dec 4th at the WYE and find out! Register here.

ASK YOUR QUESTION
Which burning questions have you been wanting to ask a panel of VCs? Post them NOW in the comments field on the meetup page.

SCHEDULE
18:30 Doors opening
19:00 Start Panel Discussion
20:30 Audience Q&A
20:50 Get Together at the Wye bar, networking

PANEL VC PARTICIPANTS
• Dr. Klaus Stöckemann, Co-Founder Peppermint Venture Partners
• Dr. Markus Müschenich, Founder Flying Health Startup Manufaktur
• Ulli Jendrik Koop, Chairman XL Health AG, Digital Health Investment Fond
• Florian Steger, Senior Investment Manager hub:raum, Deutsche Telekom

PANEL HOST
Juliane Zielonka, co-organizer Health 2.0 Berlin

PANEL TOPICS
Part 1
What are the challenges in the German Healthcare market?
In what fields can Health Startups provide solutions for the German market?

Part 2
Business Modelling the German Healthcare Market
Who pays for what and why?
Hands-on examples what works and what not and why.

Part 3
What separates a health entrepreneur from other entrepreneurs?
What are the differences, what are the commons?

Part 4
Success Stories plus: What is your offer?
Startup Scouting – who fits and why?

WHEN
Wednesday, 4.12.2013
18:30 pm

WHERE
THE WYE (Google maps)
Skalitzer Str. 86
10997 Berlin Kreuzberg

We thank our sponsor Peppermint Venture Partners for supporting this event.

See you all on December 4th at 18:30!

Kind regards

Your Health 2.0 Berlin Team

Juliane (VC panel organizer, co-organizer Health 2.0 Berlin),
Ulrike (founder & organizer Health 2.0 Berlin)
Tobias (co-organizer Health 2.0 Berlin)

Bill Gates, verwackelte Fotos auf Instagram und ein ungetoasteter Blog-Artikel

Just in diesem Moment, Donnerstag der 14.11.2013 um 12 Uhr beginnt in Berlin eine Veranstaltung der Bill and Melinda Gates Foundation mit der Fragestellung (O-Ton): „Wie können Technologien sowie Innovationen – neu wie alt – das Leben der Menschen in Entwicklungsländern verbessern?“. Anwesend dabei, hört, hört: Bill Gates höchstpersönlich.

Es gab 2 Möglichkeiten Einlass zu diesem Event zu bekommen: man erhielt eine persönliche Einladung, oder man sammelte „Punkte“ durch bloggen, twittern, folgen und verlinken von Inhalten der Bill and Melinda Gates Foundation.

Inpatient optimists Anmeldung

Jetzt twittern wir mal alle für den „guten Zweck“. Soll heißen  „Innovationen in der Entwicklungshilfe“ voran zu bringen oder auch einfach die Chance nutzen, Bill Gates persönlich zu erleben. (Screenshot Webseite www.inpatientoptimists.de/anmelden vom 13.11.2013)

Handshake mit Bill Gates

Ich gehöre, zu meiner Verwunderung, zu der Gruppe der persönlich eingeladenen. Schön, dass man mich als Spezialist für Innovation und Technologie im Gesundheitsbereich einstuft, vielen Dank. Aber Entwicklungsländer? Mein Fokus ist eher diese Technologien dem Deutschen Markt zukommen zu lassen. Ich als Bote des Transfers dieser Technologien in die große weite, 3.Welt?!? Hüstel, hüstel.

Bill Gates mal persönlich treffen zu dürfen ist natürlich eine einmalige Gelegenheit. Daher war mein erster Plan auch hinzugehen. Ich wurde aber das Gefühl nicht los, dort nicht sonderlich zur Diskussion beitragen zu können. In den folgenden Tagen wurde mir dann einiges klar: auf Twitter, Facebook, xing und Co outete sich die/der eine oder andere voller Freude und Stolz, dass er ebenfalls eingeladen war. Es handelt sich um die „Altbekannten“ aus dem Umfeld der deutschen Health 2.0, Digital Health oder Sonst-Sowas-Szene, zu der ich mich auch mal zugehörig fühle. Da hat jemand sauber recherchiert und die Multiplikatoren der deutschen Szene ausfindig gemacht. Nun, ohne irgend jemand auf den Schlips treten zu wollen, so primär was mit „Entwicklungszusammenarbeit“ haben die alle nicht wirklich zu tun. Trotzdem sind wir alle geladen, aber warum?

PR-Nummer für den Start der deutschen Impatient optimists Gruppe?

Die löblichen drei Ziele der Bill and Melinda Gates Foundation sind Bekämpfung von Armut, schlechter medizinischer Versorgung sowie die Förderung von Bildung in Entwicklungsländern. Ein Organ der Foundation ist das Blog Impatient optimists. Hier kann man sich als Autor bewerben und Artikel zu einem vorgegebenen Themenkatalog veröffentlichen. Neben dem Englischsprachigen Seite gibt es auch Ableger in chinesisch, spanisch, französisch und seit kurzem auch in deutsch (Wenn ich auf die schnelle richtig recherchiert habe ist der erste Artikel von 6. Oktober 2013). In der Einladungsmail zur Veranstaltung beschreibt man sich folgendermaßen: „Die Impatient Optimists – Deutschland ist eine Community deutscher Digital Leader, die sich mit internationaler Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheit und digitalen Innovationen auseinander setzt.“ Dazu wurde gleich der Link zur Anmeldung mitgeliefert. Ich klickte drauf und war sichtlich verwundert: die Applikation Social Toaster übernahm das Regiment.

„Getoastet, nicht geschüttelt“

Bei Social Toaster handelt es sich um ein Startup mit einer an sich pfiffigen Idee: der Nutzer verbreitet Links von einer Institution, Unternehmen, Musikgruppe oder sonst etwas über seine Social Media Kanäle und bekommt dafür Punkte gut geschrieben. für die Punkte bekommt er dann Belohnungen, Goodies, Merchandising-Artikel etc. Dieses offizielle Video fasst das Prinzip anschaulich zusammen.

Ein konstruiertes Beispiel: wenn nutella auf Facebook 17.932.039 „Likes“ erhalten hat, sollte es doch genug Leute geben, die bereit wären, die Tweets und Posts von nutella (per Vorschlag und Bestätigung mit einem Klick) in der eigenen Timeline des Nutzers erscheinen zu lassen. Vor allem, wenn es dann für den „Super Fan“ ab und zu mal ein 1000ml-Glas Nuss-Nugat-Creme zum auslöffeln gäbe.

Socialtoaster Registrierungsformular

„Diese Applikation kann Tweets für Dich veröffentlichen“. Danke, mache ich lieber selbst. (Screenshot Popup zur Autorisierung des Zugriffs von socialtoaster.com auf ein Twitteraccount)

Genau das ermöglicht Social Toaster. Und genau dieses Tool setzt auch die deutsche Impatient optimists Gruppe ein.  Mehr noch: man muss sich bei Social Toaster anmelden und wahlweise sein Twitter/ Facebook/ Linkedin-Account angeben, um sich den Impatient optimists anschließen zu können. Wer mitmacht wird zum „Digital Leader“ gekürt und bekommt seine ersten 50 Punkte gut geschrieben. In den AGBs auf der deutschen Impatient optimists Webseite findet sich eine Auflistung: folgen der Stiftung auf Facebook: 25 Punkte; einen Freund werben: 100 Punkte; einen Stiftungstweet retweeten: 25 Punkte etc. In einem Blogpost auf selbiger Webseite dazu:  „Das Leaderboard unserer Community gibt euch und uns die Möglichkeit, die Aktivität aller Mitglieder zu messen – und trägt so vielleicht auch ein bisschen zu einem „freundlichen  Wettkampf“ bei.“ Da ich diese „Punktesammelaktion“ mehr als dämlich finde, muss dieser Artikel aus Protest ohne Links zu den Webseiten der Stiftung auskommen.

Gamification und Virtual Marketing ist für mich eigentlich ein alter Hut und längst „durch“. Sie sind das Metier von Brand Marketing Abteilungen um die Social Media Kanäle von ihren „Fans“ „voll spammen“ zu lassen. Ob sie sich als Tools für NGOs und Stiftungen eignen, bezweifele ich. Gute Inhalte verbreiteten sich im Netz schon immer von alleine, das ist eine alte Web 2.0-Weisheit.

Aktuell geht es scheinbar erst mal um „Entwicklungshilfe“ für den neu zu etablierten Arm der Bill und Melinda Gates Foundation in Deutschland. Dafür macht sich sogar Bill auf die Socken um „persönlich mit uns zu diskutieren und sich unsere Ideen anzuhören“. Dafür erscheint mir Teilnehmerzahl zu hoch und die Zusammensetzung zu heterogen. Wie soll man eine Veranstaltung ernst nehmen, bei der 50 Tickets an beliebige Leute verlost wurden, die ein bisschen Publicity im Netz gemacht haben? Man kann nur hoffen, dass irgend jemand auch die Leute eingeladen hat, die wirklich konstruktive Inhalte beitragen könnten.

Im Büro bei der täglichen Arbeit

no image available instagram

-Sorry, no image available-  Das Foto auf instagram, wie mir Bill wohlwollend auf die Schulter klopft, fällt leider aus. Ich bin schlichtweg nicht da gewesen.

Ich sitze hier stinknormal im Büro und gehe meiner täglichen Arbeit nach. Business as usual. Die deutschen „Digitalen Leaders“ diskutieren fleißig, ohne mich, die Innovationen für die Entwicklungsländer. Oder so.

Sicherlich werden sich heute noch viele innovative, weltverbessernde Tweets wie „Diskutiere gerade mit Bill Gates“ und dazu verwackelte Bilder auf Instagram im Netz finden lassen. Als Beweismaterial, sonst glaubt es einem ja keiner.

Fazit und Message an die deutsche Impatient optimists Gruppe

Wenn ihr eure PR-Phase durch habt und den Socialtoasing-Quatsch vergesst, können wir uns gerne mal produktiv zusammensetzen. Mit oder ohne Bill am Tisch, ist mir völlig Wurst.
Ich kenne die Bill & Melinda Gates Foundation seit einigen Jahren und halte sie, trotz einiger Vorbehalte, für einen guten Ansatz. Ich könnte mir gut vorstellen, mit meinen bescheidenden Möglichkeiten wohlgemerkt, euch zu unterstützen.
Bin ein bisschen verwirrt von dem ganzen Drumherum zum Deutschland-Start, daher hier ein nicht so positiver Artikel von mir.
Aber laut Brendan Behan gibt es ja keine schlechte Publicity. Jede Nennung in einem Medium erhöht den Bekanntheitsgrad, und so habe ich hier ja schon mal guten Willen gezeigt;-)

Shutdown: „Information on this website may not be up to date“ – Krisenmanagement auf den Webseiten der U.S. Gesundheitsbehörden

Information on this website may not be up to date FDA

Wir sind dann mal Weg. Für knapp 2 Wochen waren die e-Government Strukturen der USA „eingefroren“. Auf diversen staatlichen Webseiten befanden sich Hinweistafeln wie auf diesem Bild. 
(Screenshot Webseite U.S. Food and Drug Administration vom 14.September 2013; www.fda.gov)

Am 1. Oktober schlossen, neben allen anderen U.S.-amerikanischen Ämtern, auch die Gesundheitsbehörden kurzerhand ihre Pforten. Bis auf eine Notbesetzung wurden die Mitarbeiter nach Hause geschickt. Der Spuk scheint erst mal vorbei, Obama hat ein paar Schuldscheine unterschrieben und gestern, am 17. Oktober sind alle wieder an ihre Schreibtische zurückgekehrt.

Wie ist der Einfluss dieser Krise auf die Verfügbarkeit von Internet-basierten Gesundheitsinformationen?

Die Überlegenheit des Internets gegenüber anderen Medien liegt in seiner Aktualität und seiner leichten Zugänglichkeit. Ersteres hat es in den letzten 2 Wochen eingebüßt. Wenn durch Gesundheitsbehörden nur die wichtigsten aktuellen medizinische Informationen weitergegeben werden und Zweitrangiges gedrosselt oder verzögert die Ärzte, Apotheker, Institutionen oder einfach auch den Bürger erreicht, entsteht eine beunruhigende Lücke.

Die Biomedizinischen Bibliothek der Vanderbuilt University hat eine Auflistung der „Federal Resources“ erstellt, die betroffen sind bzw. waren. Dieser Art „Notstandsbericht“ wurde in den letzten Wochen ständig aktualisiert und ergänzt. Jetzt werden 13 Quellen aufgelistet. Hier ein paar Auszüge:

„…will not be updated or maintained…“  – Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ)

„…only reports on immediate health threats.“ – Morbidity and Mortality Weekly Report

„…have been shut down…“- Education Resources Information Center (ERIC)

„…currently not receiving any record or data updates…“ – Ovid MEDLINE

„…will be kept as up to date as possible…“ – PubMed

„Es waren ja nur 2 Wochen“ könnte man sagen. Und man war ja auch nicht offline sondern es wurde einfach nur nicht aktualisiert.  Aber noch gestern war unklar, wie lange der Shutdown noch anhalten sollte. Und mal rein hypothetisch: wenn der Staatsbankrott eingetreten wäre?
Bleibt es bei diesem einmaligen Ausnahmezustand oder müssen wir uns in den kommenden Jahren daran gewöhnen, dass bei Krisen halt der Informationsfluss „mal wieder“ stockt?

Gerät die „Vorreiterrolle“ Amerikas ins Wanken? Platt daher gesagt: was heute auf den Webseiten der U.S. Gesundheitsbehörden steht, wandert morgen in die Gremien der entsprechenden europäischer Institutionen und landet dann übermorgen in adaptierter Form auf den eigenen Webseiten. Ich habe das schräge Bild von Däumchen drehenden Admins der europäischen Behördenwebseiten vor meinem inneren Auge.

Die Bedeutung der medizinischen Datenbank Medline

Es wird jetzt sicherlich gespart werden müssen und die knappen Kassen könnten zu einem generellen Qualitätsverlust medizinischer Informationsquellen aus den USA führen. Und dies ist dann nicht nur ein amerikanisches Problem. Ein Beispiel: die wichtigste und mit Abstand größte biomedizinische Datenbank Medline (Zugänglich zum Beispiel über das Portal PubMed) ist essentiell für die gesamte medizinische Forschungslandschaft in Deutschland (wie auch in jedem anderen Winkel der Erde).
Auch Medline war Opfer der Zwangspause.

pubmed - lapse of government funding

Man ist sichtlich bemüht, das Beste draus zu machen. Infotext auf der Webseite PubMed, einer Weboberfläche zum durchsuchen der Datenbank Medline: „Due to lapse in government funding, PubMed is being maintained with minimal staffing. Information will be updated to the extent possible, and the agency will attempt to respont to urgent operational inquieries“. (Screenshot von letzter Woche; http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed)

Man stelle sich mal vor Google hätte am 1.Oktober aufgehört, neue Seiten zu indizieren bzw. auf bestehenden Seiten nach Neuigkeiten zu suchen und diese mit aufzunehmen. Rasch hätte es nur noch den Wert eines Telefonbuches, eines 20-bändigen, Staub fangenden Lexikon im Bücherregal. Google im Leerlauf. Die durchschlagende Kraft, dem entscheidenden Mehrwert von Google liegt aber gerade in der Aktualität. Auf das „was passiert jetzt gerade“ können und wollen wir nicht mehr verzichten. Das gilt natürlich für medizinische Datenbanken genauso.

Noch mal anders gesagt: Medline hat sich als die Grundlage jeder medizinischen Recherche entwickelt und ist nicht mehr weg zu denken. Sie besticht durch freien kostenloser Zugang; ist die Umfangreichste. Irgendwie so wie Google halt.
Diese Krise macht nun aber deutlich, dass sich die weltweite Forschungslandschaft an eine Datenbank gehängt hat, die Teil einer U.S. Behörde ist. Das Vorhandensein DER „Suchmaschine“ für medizinisches Wissen ist an das Wohlwollen (oder in diesem Fall: der finanziellen Situation) genau dieser Behörde gekoppelt.

EMBASE: der europäische kleine Bruder von PubMed

Medline ist nicht alles. Es gibt Alternativen. So zum Beispiel EMBASE. Und, -Na, Gott sei Dank-: sie liegt auf europäischen Servern. Gemessen an den enthaltenen Publikationen kann sie sich sehen lassen und liegt weltweit, zwar mit etwas Abstand, auf Platz zwei hinter Medline im Ranking der medizinischen Datenbanken. Sehr viele Publikationen sind auch in beiden Datenbanken gelistet, EMBASE ist traditionell stärker bei Veröffentlichungen aus dem Europäischem Raum. EMBASE hat aber auch einen entscheidenden Nachteil: sie ist nämlich in Besitz eines Unternehmens: Der niederländischen Elsevier B.V., einem (gigantischen) wissenschaftlichen Fachverlag. Grundsätzlich ist einem ja so rein gefühlsmäßig eine staatlich geführte Datenbank sympathischer. Und es ist auch anzunehmen, dass Publikationen aus dem eigenen Hause bevorzugt eingepflegt werden und erst dann Veröffentlichungen von anderen Publishern.  Viel entscheidender: sie ist kostenpflichtig, also nicht frei zugänglich. Universitätsbibliotheken müssen eine Lizenz erwerben, um sie in ihren Datenbankkatalog aufzunehmen. Bei straffer Finanzlage ist EMBASE auch bei weitem nicht in allen deutschen medizinischen Hochschulen gelistet. Auch die Bibliotheken verlassen sich also notgedrungen auf das (bisher) allgegenwärtige Medline.

Kurzfristig bleibt der Fachwelt erst mal nichts anderes übrig als zu hoffen, das es sich bei „Updatepause“ um eine einmalige Angelegenheit handelte. Langfristig wäre eine Alternative aber schon wünschenswert, schon allein um Unabhängigkeit und Verfügbarkeit zu gewährleisten. Eine Lösung könnte zum Beispiel eine Medizinische Datenbank unter dem Dach der WHO sein.

Fazit

Amerika stand kurz vor dem finanziellen Ruin und ich befasse mich hier episch mit der Nebensächlichkeit kurzzeitig nicht aktualisierten, biomedizinischen Datenbanken und Webseiten von U.S. Gesundheitsbehörden?

Nun, mir fehlt der Überbick und die Hintergrundinformationen, was da gerade in seiner Gesamtheit in Amerika passiert. Dazu müssen sich andere auslassen. Nur ein Aspekt irritiert mich: es wird beschwichtigt: das mit dem Shutdown sei alles nur politische Show und die Wirtschaft in den USA stehe gut da. Prima, nur wenn der Staat jetzt schon Pleite ist, wie wird es dann um den Finanzhaushalt stehen, sollte es der Wirtschaft mal nicht so rosig gehen?

Diese Webseite befasst sich mit „Medizin und Neuen Medien“, die Auswirkungen der Krise auf diesen Bereich –und sei er noch so unbedeutend, doch nur für ihn kann ich sprechen– erfüllt mich mit einem sehr unguten Gefühl.

Im internationalen Vergleich mag die amerikanische Gesundheitsbehördenstruktur und Forschungslandschaft etwas aufgebläht erscheinen. Wenn es ans „Priorisieren“ in einer Krisensituation geht, mag da ein Runterschalten für 2 Wochen als Kolateralschaden hingenommen werden. Ich befürchte aber, das jetzt nicht alles weiter geht wie zuvor, sondern dieser Bereich insgesamt zurück gefahren wird.
Ist  die weltweit größte biomedizinische Datenbank in den USA gut aufgehoben? Bisher war der Standort selbstverständlich, ja fast logisch. Früher oder später könnte er zu einem Problem werden.

Wie ist es einzuordnen, wenn ein Staat seine Gesundheitswebseiten, die vermutlich primäre Informationsquelle für den Bürger, 17 Tage lang nicht aktualisiert?

Mobile Health auf dem Prüfstand

Die U.S.-amerikanische Federal Drug Administration (FDA) ist, auch wenn es der Name nicht vermuten lässt, neben der Zulassung von Medikamenten ebenfalls für Medical devices (Medizinprodukte, also z.B. technische Gerätschaften wie Infusionspumpen oder medizinische Software) zuständig. Da mobile Endgeräte (Smartphones, Tablets etc.) und Apps immer mehr in diesen Bereich eindringen (Schlagwort Mobile Health), hat die Behörde nun eine Handlungsempfehlungen herausgegeben, wann solche Anwendungen als Medical devices anzusehen sind (und damit zulassungspflichtig) und wann nicht.  Die finale Version dieser Mobile Medical Application Guidance wurde am 25. September 2013 veröffentlicht.

Sie richtet sich einerseits an die Mitarbeiter der Behörde als Bewertungsgrundlage, andererseits an Entwickler und Anbieter von medizinischen Apps, damit sie einschätzen können, ob ihre Produkte eine Zulassung bedürfen.

Die FDA argumentiert, dass wenn sich Smartphone und Co. in diesen sensiblen Bereich vorwagen, sie sich auch den selben strengen Prüfungen unterziehen müssen. Denn wenn Hard- oder Software nicht einwandfrei funktionieren, könnte dies Folgen für die Gesundheit des Nutzers haben.

Daraus definierte die FDA 3 Risiko-Kategorien, gestaffelt nach der Wahrscheinlichkeit, dass der Einsatz dieser Anwendungen eine Gefährdung für den Nutzer darstellen können: Anwendungen mit geringem (Class I), mittlerem (Class II) oder hohem (Class III) Risiko.
Anwendungen der Klasse 1 brauchen nicht, der Klasse 2 können, und der Klasse 3 müssen zugelassen werden.

Zulassungspflichtig sind…

…generell gesprochen alle Anwendungen, die Funktionen übernehmen, die sonst „klassische Medizinprodukte“ übernommen haben, bzw. an diese andocken und mit ihnen interagieren.

„Medizinprodukt plus Smartphone“

Ein mobiles Endgerät wird mit einem Medizinprodukt verbunden und dient dazu, dieses zu steuern, vom Medizinprodukt ermittelte Daten anzuzeigen, zu speichern, zu analysieren oder weiterzuleiten.

Beispiele:
* Eine Insulinpumpe, die mittels Smartphone durch den Patient angesteuert wird
* Daten eines EKG-Überwachungsmonitors werden per Funktechnologie an ein Smartphone gesendet und die EKG-Kurve kann dort „live“ mitverfolgt werden
* Digital archivierte Röntgenbilder können auf dem Smartphone angezeigt werden

In diesen Fällen wird also an ein bestehendes, eigenständiges System (Insulinpumpe, Monitor) ein mobiles Endgerät angeschlossen und dient als „verlängerter Arm“.

„Smartphone ersetzt klassisches Medizinprodukt“

Ein mobiles Endgerät wird selbst zu einem medizinischem Gerät indem eine Messsonde oder Sensoren angeschlossen werden und diese durch das Endgerät gesteuert werden.

Beispiele:

* Eine sich selbst aufpumpende Blutdruckmanchette, die an ein Smartphone angedockt wird
* EKG-Elektroden werden auf die Haut aufgetragen und übermitteln die Messergebnisse via Bluetooth an das Smartphone in der Hosentasche

In diesem Fall ist der Sensor (Manchette, Elektroden) alleine nicht funktionsfähig und bildet erst zusammen mit dem mobilen Endgerät eine Einheit. Gemeinsam übernehmen sie die Funktion, die sonst ein medizinisches Gerät übernommen hätte.

„App ersetzt medizinische Software“

Eine auf einem mobilen Endgerät installierte App wertet Patientendaten aus und stellt Diagnosen oder liefert Patienten-spezifische Therapievorschläge.

Beispiele:
* Eine App beurteilt das Hautkrebsrisiko einer Hautveränderung, die mit der Kamera des Smartphone aufgenommen wurde
* Abhängig von eingegebenen Blutzuckerwerten schlägt eine Smartphone App dem Diabetiker die zu spritzende Menge Insulin vor

Vorerst nicht zulassungspflichtig sind…

Anwendungen, die zusammenfassend gesagt zwar unter die Definition eines medical devices fallen, aber nach Einschätzung der FDA nur ein geringes Risiko haben, dem Nutzer Schaden zuzufügen. Daher sind sie aktuell, unter Widerruf, nicht zulassungspflichtig. Hier ein paar Beispiele:

Selbstmanagement für bestimmte Erkrankungen

Apps, die den Patienten bei einer bestehenden Erkrankung helfen, besser mit dieser umzugehen und Vorschläge für eine gesündere Lebensweise geben.

Beispiele:
* Eine Ernährungscoach-App für übergewichtige Patienten
* Fitnesstrainer für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Tools zum Messen und Sammeln von Messwerten („Self-tracking“)

Apps, die zum Beispiel dazu dienen, den Patienten bei der Dokumentation seines Krankheitsverlaufes zu unterstützen. Teilweise können diese Daten mit dem behandelnden Arzt im Sinne eines Disease Management Programm geteilt werden.

Beispiele:
* Dokumentation von Bludruck  und Puls bei Herz-Patienten
* Tracken der täglichen Stimmung bei Patienten mit depressiven Erkrankungen
* Tracken von Schmerzen und der eingenommen Menge Schmerzmedikamente bei Patienten mit chronischen Schmerzen

Arzt-Patienten-Kommunikation via Bild- und Video-Funktion

Der Einsatz von der im mobilen Endgerät eingebauten Kamera zur Darstellung von Sachverhalten, die sich nur schwer vom Patienten in worte fassen lassen.

Beispiele:
* Wunddokumentation oder sonstige Hautläsionen

Medizinische (Um-)Rechnungsprogramme

Hierbei handelt es sich um Apps, die bei der Berechnung von diversen Scores unterstützen

Beispiele:
* Ermittlung von Body Mass Index (BMI)
* Ermittlung von Glascow Coma Scale
* Ermittlung von APGAR Score

Mobiler Zugriff auf Personal Health Records (PHR) oder Electronic Health Records (EHR)

Alle Anwendungen, die mobilen Zugriff auf Inhalten von elektronischen Patientenakten gewähren.

(Auswahl, Liste nicht vollständig, mehr im Guidance.)

Nicht zulassungspflichtig sind…

…Apps, die allgemeine Gesundheitsinformationen liefern ohne diese in einen Kontext mit dem Nutzer zu stellen.

Beispiele:
* eBook-Version eines medizinischen Wörterbuchs
* Übersetzungstools für medizinische Fachbegriffe

…Apps, die zur Ausbildung von medizinischem Personal oder zu Schulungszwecken dienen

Beispiele:
* Interaktive 3D-Anatomiemodelle
* Frage- und Antwortkarten für Studenten
* Lehrvideos

…Apps, die zur Information oder zu Schulungszwecken von Patienten dienen

Beispiele:
* App, die Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken etc. in der Nähe anzeigen (Local-based services)
* Patientenportale, die Informationen zu bestimmten Erkrankungen liefern
* Preisvergleichs-App für unterschiedliche Medikamente mit dem selben Wirkstoff

(Auswahl, Liste nicht vollständig, mehr im Guidance.)

Innovationsbremse für Start-ups im Mobile Health Umfeld?

Zwar wurde die Leitlinie in der Fachwelt eher positiv aufgenommen, dennoch wurden auch kritische Stimmen laut. So könnte die Leitlinie innovative Start-ups mit an sich sinnvollen Anwendungen ausbremsen, da die Erfüllung der strengen Anforderungen sie vor eine große Herausforderung stellt. Haben vielleicht auch die Hersteller der „klassischen“ Medizinprodukte ihren Einfluss auf die FDA geltend gemacht um sich lästige Konkurrenz vom Halse zu halten? Raum für Verschwörungstheorien. Aber anders rum gefragt: soll die FDA bei solchen Start-ups „beide Augen zudrückten“ wenn gleichzeitig einer potentielle Gefahr für die Nutzer der Apps besteht?

Wenn Mobile Health ernst genommen und in den Regelbetrieb der Gesundheitsversorgung aufgenommen werden will, muss es sich auch den dort herrschenden Vorgaben stellen. Die wichtigsten sind Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit. Für ersteres ist die FDA zuständig.

Nur ein Bruchteil der aktuellen Apps ist betroffen

Nur ein verschwindend geringer Anteil der verfügbaren Apps fällt unter die Zulassungspflicht, zum Großteil Anwendungen, die von medizinischem Fachpersonal in Praxis und Klinik zum Einsatz kommen. Diese wurden übrigens auch schon vorher überwacht und bedurften der Zulassung. Dazu wurden Gesetzesvorlagen zur Bewertung „klassischer Medizintechnik“ herangezogen, die sich jedoch zunehmend als unpraktikabel für Mobile Health darstellte. Die neue Leitlinie schafft nun Klarheit.

Die unzähligen Apps, die sich speziell an Konsumenten richten und eher in Richtung Lifestyle, Fitness & Wellness gehen sind nicht betroffen.

Auch das Potpourri an Tools, die in der Quantified self Bewegung zum Einsatz kommen bleiben verschont.

(Verwandte Artikel auf Medizin-und-Neue-Medien.de: Diagnose von Hautkrebs mit dem Smartphone und  Der Traum von Professional Mobile Health – und die limitierenden Faktoren der Realität)

(Über-)Leben im gefährlichen Jahrzehnt

„In diesem Jahrzehnt werden weltweit mehr Informations- und Kommunikationstechnologien(IKT) im Gesundheitswesen installiert, als in dem gesamten Zeitraum zuvor“, postulierte der australische Professor für Medizininformatik E. Coiera in dem 2011 veröffentlichen Artikel The dangerous decade. Er führte weiter aus, dass „die Systeme größer und komplexer werden und sich zunehmend von einem regionalen zu einem nationalen, ja wenn nicht sogar supernationalen Rahmen entwickeln“.

Aber warum ist das den nun gefährlich? Coiera spricht von einem Paradoxon zwischen IKT und der Patientensicherheit: zwar kann die Technologie die Sicherheit erhöhen, gleichzeitig bringt sie aber auch neue Gefahrenquellen mit sich, zum Beispiel Technologie-induzierte Fehler oder soziotechnische Aspekte. Die Zahl der schwerwiegenden Schäden die durch den Einsatz von IKT im Gesundheitswesen auftreten sind relativ gering, aber wenn mehr IKT zum Einsatz kommt, werden als Konsequenz auch die Anzahl der Schäden steigen und deutlicher in den Vordergrund treten. Coiera vermutete, dass das Verhältnis zwischen IKT-Nutzung und auftretenden Fehlern nicht proportional ist, sondern Schäden eher überproportional auftreten könnten. Begründet hat er dies damit, dass bestehende IKT intensiver genutzt werden wird, neue komplexere Systeme implementiert werden und die Zahl der (Erst-)Nutzer steigen wird.

Statt ernsthaften Anstrengungen dieser Entwicklung entgegen zu wirken, beobachtete Coiera vielmehr Kostendruck und ehrgeizige Zeitpläne bei der Implementierung von IKT im Gesundheitswesen, die das auftreten von Fehlern weiter begünstigen könnten.

Schwarzmalerei? Panikmache? Die übliche Technikfeindlichkeit? Mitnichten. Coiera ist kein Verfechter von Health IT. Er ist vielmehr ein Insider und möchte weitere Bauchlandungen verhindern.
Ein vernetztes, IT-gestütztes Gesundheitswesen auf die Beine zu stellen ist die letzte große Herausforderung im e-Health Bereich. Wir laufen Gefahr, fieberhaft nach (rein) technischen Lösungen zu suchen. Werden diese dann übereilig implementiert und soziotechnische Aspekte nicht berücksichtigt, wird Coiera recht behalten.

Der Artikel ist nun knapp 2 Jahre alt, wir befinden uns am Ende des 3. Jahres dieser „gefährlichen Dekade“ und sind somit schon mitten drin. Ich habe mich gefragt, wie wohl Coiera die aktuelle Situation einschätzen, würde. Tut sich was oder alles beim Alten?.

Persönlich habe ich den Eindruck, dass der Vormarsch von IKT im Gesundheitswesen , vor allem in Europa, sich aktuell entschleunigt hat, wenn nicht sogar stockt. Grund dafür ist sicherlich nicht, dass sie alle The dangerous decade gelesen haben, sondern dass die Probleme zunehmend offensichtlich werden. Als schmerzliches Beispiel sei dass gescheiterte Connecting for Health Projekt aus Großbritannien genannt.

Auch die in Deutschland geplanten E-Health Aktivitäten liegen weit hinter ursprünglichen Planungen. Man überdenkt, fährt zurück und backt lieber erst mal kleine Brötchen. Und das ist auch gut so.

(Weiterführender Link: Trends in Health Information Technology Safety: From Technology-Induced Errors to Current  Approaches for Ensuring Technology Safety [PDF])