Wirtschaftsrat der CDU ruft Bundesfachkommission Digital Health ins Leben

Logo des Wirtschaftsrat DeutschlandEs wird ja immer doller, wer sich in Deutschland dem Thema #DigitalHealth annimmt. Nun hat der Wirtschaftrat, ein CDU-naher Lobbyverband, die Bundesfachkommission Digital Health eingerichtet. Der Wirtschaftsrat hatte bereits seit langem eine Bundesfachkommission für Gesundheitswirtschaft, mit dem die neue Kommission auch eng zusammenarbeiten wird. Vorstand ist kein Unbekannter: Frank Gotthardt, CEO des Health IT Giganten CompuGroup Medical AG (kurz: CGM).

xlhealth-logo-245x70-1Frank Gotthardt sitzt im Aufsichtrat von XLHealth, einem auf digitale Gesundheit spezialisiertem Investor. Der Kreis schließt sich, denn die CompuGroup Medical ist XL Health´s „strategischer Kooperationspartner„. Und vermutlich, zumindest zu einem großen Anteil, auch der Kapitalgeber. Geplant waren 50 Millionen in 3 Jahren zu investieren. Dieser Zeitraum ist mittlerweile etwa zur Hälfte verstrichen. Geld sollte aber noch genug im Topf sein: Mit erst 4 Portfolio-Unternehmen läuft die Verteilung des Wagniskapitals eher schleppend. Das liegt vermutlich nicht am XL HEALTH Team: Sie sind überall in der Szene präsent und durchkämmen permanent den Markt.
Ist etwa das Angebot an soliden Ideen im Digital Health Bereich, die einer Risikoprüfung stand halten können, geringer als initial angenommen?! Zwar gibt es aktuell einen Hype um digitale Gesundheitsanwendungen, gleichzeitig schaffen es viele von ihnen nicht über Hemmnisse und Hürden durch bestehenden Gesundheitsstrukturen oder rechtlichen Rahmenbedingungen. Und auch die vermeintlichen Zielgruppen, seien es Patienten oder Ärzte, haben erst mal ihre Vorurteile und Vorbehalte gegen die neuen Technologien. Sie sind, in der Masse betrachtet, nur bedingt Digital Health gegenüber aufgeschlossen. Da kann ein bisschen Lobbyarbeit nicht schaden (und ist natürlich auch völlig legitim).

Link zur Trend-Zeitung

Schon mal was von der „Trend Zeitung“ gehört? Nein? – Ich vorher auch nicht. Und doch: hier stand es zuerst!

Zwar hat es die Digital Health Kommission noch nicht in der Liste der Bundesfachkommissionen auf der Wirtschaftsrats-Webseite (Stand: 15.01.2015) geschafft, angekündigt wurde sie aber bereits im Oktober in einem ausführlichen Artikel in der „Trend – Zeitung für Soziale Marktwirtschaft„. Die Postille ist die Mitgliederzeitschrift des Wirtschaftsrates und hat, zumindest optisch, schon mal jeden Trend der letzten 25 Jahren verpasst. Geschrieben ist der Artikel von Herrn Gotthardt persönlich. Er breitet die altbekannten großen Herausforderungen des Gesundheitswesens (Fachkräftemangel / Stadt-Land-Gefälle / Alternde Gesellschaft / Finanzierbarkeit des Systems) aus und sieht Digital Health als die „Chance“ und „großen Wurf“. Es folgt eine lange Vorschlagsliste an Maßnahmen. Diese decken sich größtenteils mit Zielen von Verbänden wie der DG Telemed, dem BiM oder dem VdigG. So ganz am Rande bemerkt: Die formulierten Forderungen und Maßnahmen der Fachkommission passen übrigens auch prima zur Produktpalette der CompuGroup.

Man könnte fast vermuten, die Fachkommission Digital Health wäre eine One-Man-Show. Nun hat aber der Bundesverband der Krankenhaus IT Leiter (kurz: KH-IT) bekannt gegeben, dass sie bei der Bundesfachkommission Digital Health mitwirken dürfen. Der KH-IT teilt auch mit, dass 4x im Jahr Sitzungen stattfinden sollen und die Auftaktsitzung der Bundesfachkommission für den 06.02.2015 geplant ist. Als Schwerpunktthema wird „Das E-Health-Gesetz – Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland“ angegeben.

Wer neben dem KH-IT noch zur Mitarbeit eingeladen wurde konnte ich auf die Schnelle nicht recherchieren.

Mediquire – Das Analyse Tool für den gläsernen Arzt

logo_mediquire

Analyse Tools, die Daten aus elektronischen Patientenakten einer ganzen Klinik auswerten können, gibt es zuhauf. Mit ihnen können zum Beispiel Patienten mit einem besonderen Merkmal herausgefiltert und deren Daten zu Studienzwecken miteinander verglichen und ausgewertet werden. Dies hat einen zunehmend hohen Stellenwert bei der Erforschung seltener Erkrankungen.

Wie performant bin ich den heute?

Das auf den amerikanischen Markt zugeschnittene MediQuire hat da mal einen ganz Ansatz: die Anordnungen der Ärzte steht im Mittelpunkt der Analysesoftware.
Mediquire erstellt aus den Daten der Patientenakten Statistiken, die Auskunft über die individuellen Behandlungsweisen jedes einzelnen Arztes in der Einrichtung geben.

„Turning data into quality improvements“

…lautet das Motto von mediquire. Ärzte können auf einem persönlichen Dashboard ihre eigene Performance sehen und erhalten Statistiken, wie sie im Vergleich zu ihren „Peers“, also zum Beispiel allen Kollegen ihres Fachbereichs, da stehen.
Ordne ich mehr Untersuchungen an als der Durchschnitt? Bin ich der Einzige, der nie Medikament xy verordnet, obwohl es doch die Leitlinien-gerechte Therapie wäre?
Durch dieses „Feedback“ sollen die Ärzte ihre eigene Behandlungsstrategie und somit die Versorgungsqualität „verbessern“ lernen. Klingt nach einer Art freiwilligen Selbstkontrolle und kann doch nur im Sinne des Patienten sein, oder?!

Lehrinhalte für Ärzte

Ferner sollen dem Arzt individuelle Lerninhalte angeboten werden. Ein ehrgeiziger Ansatz, denn die entsprechenden Wissenslücken sind sehr vielfältig und individuell. Zudem ist dieser Markt auch schon längst besetz, so bietet zum Beispiel der Global-Player Wolter Kluwer seit Jahren sein UpToDate® an. Das kostenpflichtige Produkt bietet Ärzten über einen Webzugang eine umfangreiche Wissensdatenbank und eine aktive Ärzte-Forum für individuelle Fachfragen.

Vermeintliches Einsparungspotential soll Krankenhäuser locken

Die durch den Einsatz von Mediquire versprochene Qualitätsverbesserung soll zu Kosteneinsparungen von bis zu 10 Millionen US-$ im Jahr führen, behauptete der CEO Klaus Königshausen in einem Interview. Wie sich diese Summe errechnet erfahren wir leider nicht. Jedenfalls eignet sich die Zahl prima, um die stolzen jährlichen Lizenzkosten von 100.000 bis 200.000 US-$ für die SaaS-Web-Anwendung zu rechtfertigen.

Missbrauch vorprogrammiert?

Hört, hört: für den Fall, dass die Ärzte nicht von selbst „an sich arbeiten“, gibt es natürlich auch ein Dashboard mit einer Gesamtübersicht für die Leitungsebene. Es können Suchanfragen definiert werden, zum Beispiel wer im Haus die meisten (teuren) MRT-Untersuchungen anordnet.

Klar, dass die Anwendung in der Hand von übereifrigen Controllern großes Potential für Einsparungen bieten kann. Aus der Selbstkontrolle wird schnell eine Überwachung. Ähnlich sieht das auch Stephanie Baum in ihrem Artikel auf medcitynews: „Will hospitals use the data in the way envisioned? Or will they use it as a punitive measure for physicians?“

Im schlimmsten Falle könnte dies dazu führen, dass Ärzte an sich notwendige Untersuchungen nicht mehr verordnen, aus Angst in der Statistik „aufzufallen“.

Fazit

Es stellt sich mir die Frage: sind diese Statistiken wirklich hilfreich, um eine Aussage über die Behandlungsqualität zu geben?
Kann der Software-Algorithmus den Umständen eines jeden der individuellen Behandlungsfälle Rechnung tragen oder nur stur aufsummieren und numerische Werte liefern?

Die Software liefert beides: Klinische und finanzielle Metriken. Die einen wollen Potential zur Qulitätsverbesserung bieten, die anderen Einsparungsperspektiven aufzeigen.
Wobei Qualitätsverbesserung nicht unbedingt Kosteneinsparung bedeuten muss: es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Ärzte bisher zu wenig Therapie verschreiben. Durch Mediquire könnte dann Leitlinien-gerecht entsprechend mehr angesetzt werden. Gut für den Patienten, schlecht für den Controller mit dem „versprochenen“ 10 Millionen Einsparungspotential im Hinterkopf.

Es wäre sicher spannend, in unabhängigen Studien zu evaluieren, auf welche Metriken die Kunden von Mediquire besonders wert legen und ob die versprochenen Ziele in Sachen Behandlungsqualität und Einsparungspotential überhaupt erreicht werden können. Ebenso könnten die Ärzte befragt werden: sehen sie die Anwendung als hilfreich an (würden sie sie weiter empfehlen), oder überwiegt der „Überwachungscharakter“?

Das Taschenmesser im Handgepäck und der Fotoapparat im Krankenhaus

In einer Notaufnahme eines deutschen Universitätskrankenhauses hat sich eine Handvoll Pflegekräfte zu einer großen Dummheit hinreißen lassen: sie fotografierten sich zusammen mit verwirrten Patienten. Nach dem Bericht der Aachener Zeitung haben sie dafür die Patienten auch geschminkt oder verkleidet und die „Selfies“ dann über WhatsApp untereinander ausgetauscht. Irgendjemand war das zu bunt und hat anonym die Klinikleitung informiert. Diese reagierte umgehend und kündigte die Pfleger fristlos. Zwar hat die Klinikleitung von einer Strafanzeige abgesehen, aber die Staatsanwaltschaft hat sich mittlerweile eingeschaltet und ermittelt ob dies als Straftat zu werten sei, zum Beispiel Nötigung oder Beleidigung.

Eine neue Dimension

Respektlosigkeiten gegenüber Patienten von Seiten des medizinischen Personals passieren jeden Tag hundert- wenn nicht tausendfach in Deutschland.

Der knallharte Arztroman: Samuel Shem´s „House of God“. Der Patient wurde zum GOMER (Get Out of My Emergency Room)

Es wird gewitzelt, gefrotzelt, bevormundet und verarscht. Meist unterschwellig, leider aber nicht selten auch sehr offen und direkt. Ich weiß wovon ich rede: ich habe 13 Jahre lang im weißen Kittel im deutschen Gesundheitssystem gearbeitet.
Zwar überspitzt, aber im Kern realistisch, sei auf den Klinikroman  „House of God“ verwiesen.

Nun kommt aber ein neuer, Aspekt hinzu: Smartphones stecken in jeder Kitteltasche – und dadurch auch eine Kamera. Respektlosigkeit oder Angriff auf die Würde kann nicht nur verbal, sondern auch durch digitale Medien erfolgen.

Früher wurde gegafft, heute wird gefilmt

Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung: passierte früher irgendwo ein Unfall, beklagten sich die Rettungskräfte, dass ihre Arbeit durch einen Pulk von „Gaffern“ behindert wurde, heutzutage wird zunehmend nicht mehr nur selber geschaut, sondern gleich mitgefilmt. Man bedenke: noch vor 10 Jahren hatte man, wenn man nicht gerade im Urlaub war, im Allgemeinen keine Fotoapparat, geschweige den einen Camcorder (so hieß das damals) dabei.

Hemmschwelle sinkt unter Null

Wir alle fotografieren und filmen mittlerweile so viel, dass sich immer seltener jemand darüber aufregt, wenn man ungefragt fotografiert wird. Fotografieren, gerade mit dem Smartphone,  ist zunehmend „erlaubt“ oder „geduldet“. Paradoxerweise haben die Bilder heutzutage eine viel höhere Reichweite: sie können, wie im aktuellen Fall, über Social Media verbreitet werden und außer Kontrolle geraten. Früher brachte man seinen Film zur Entwicklung und es gab nur einen Abzug. Dieser verschwand recht schnell in einem Schuhkarton fern ab der Öffentlichkeit.

Als ich in den neunziger Jahren meine Krankenpflegeausbildung machte, wurde uns beigebracht, dass Fotografieren von Patienten streng verboten sei. Zu der Zeit war Fotografie mein Hobby und ich hatte damals eigentlich immer einen Fotoapparat in der Tasche. Hat jemand im Krankenhaus gesehen, dass ich einen Fotoapparat im Rucksack hatte, stand ich gleich unter Generalverdacht. „Huch, aber du weißt, im Krankenhaus ist knipsen verboten! Und ja keine Patienten fotografieren“ hörte ich reflexartig und ermahnend. Eine Kamera mit in ein Krankenhaus zu nehmen war ein bisschen wie das Taschenmesser im Handgepäck im Flugzeug.

Handyverbot im Krankenhaus

Früher herrschte in jeder Klinik striktes Handyverbot. Dies konnte, wegen Druck von Patienten als auch Personal nicht aufrecht gehalten werden und verwässerte.

Früher herrschte in jeder Klinik striktes Handyverbot. Wegen fehlender Akzeptanz (von Personal wie Patienten) sind Mobiltelefone mittlerweile stillschweigend geduldet.

Als die Handys aufkamen, wurden diese umgehend in Krankenhäusern verboten. An jeder Eingangstür wurden entsprechende Schilder geklebt, besonders an Intensivstationen. Damals noch in der Befürchtung (oder dem Vorwand), das die Funkwellen Herzschrittmacher oder medizinische Geräte stören und so Schaden am Patienten erzeugen könnten.

Anfangs wurden Handys vom Personal ausgeschaltet und in der Umkleide im Spint gelassen, später diffundierten sie in die Pausenräume auf den Stationen. Heute werden sie ganz selbstverständlich in der Kitteltasche getragen.

Aus der Zeit, als die Handyverbote ausgesprochen wurden, waren die Geräte noch gar nicht mit Digitalkameras versehen. Nach den aktuellen Ereignissen könnte aber die Kamerafunktion zu einer neuen, reflexartigen Mobiltelefonverbotswelle führen.

Fazit

Ich möchte der Menschheit nicht das Smartphone weg nehmen. Auch nicht im Gesundheitswesen. Wenn sich nicht schnell das Bewusstsein jedes einzelnen ändert, werden dies jedoch sicher wieder „von oben“ angeordnet werden.
Daher finde ich die 5 fristlosen Kündigungen als vollkommen richtig: sie setzen ein Signal.
Es ist auch gut, dass die Meldung durch alle Massenmedien getragen wurde. Hoffentlich hat jeder, der im Gesundheitsbereich arbeitet, davon Notiz genommen.

Liebe Leute, es ist so einfach, und es muss wieder gelten:
Bitte nicht fotografieren!

Vielen Dank an Timo Mügge, der mich über einen Tweet auf den Fall aufmerksam machte.

#DigitalHealth auf Deutsch – „Verband digitale Gesundheit“ ins Leben gerufen

Neu am Start: der Verband digitale Gesundheit (VdigG)

Neu am Start: der Verband digitale Gesundheit (VdigG)

Etwa 2 Jahre ist es her, da wurde der Bundesverband Internetmedizin (kurz: BiM) gegründet, nun tritt ein weiterer Verband in Erscheinung: Der Verband digitale Gesundheit (nicht ganz so kurz: VdigG). Am 28. August findet die erste Veranstaltung unter dem Titel Digitale Gesundheit – Chancen neuer Technologien für Gesundheit und Gesundheitswesen statt.

Gut strukturiert und breit aufgestellt

Die Webseite und deren Inhalte hinterlassen bei mir einen guten 1. Eindruck.Die Idee hinter dem Verband und was man gerne machen möchte wird verständlich dargelegt. Beachtenswert: hinter dem Verband stecken, gleich von Tag 1 an, ein duzend Köpfe. Dabei ist jedem der Zwölf auch gleich ein Ressort zugeordnet.

Dr. rer. med. Ralf Belusa – Wearables & Sensoren
Dr.-Ing. Felix Cornelius – Schnittstellen
David Ermes – Internationale Kooperationen
Paul Hellwig – Datensicherheit & Datenschutz
Johannes Kalläne – Recht
Dr. med. dent. Rolf Koschorrek – Politik
Radek Koslowski – Produktentwicklung
Lars Lindemann – Verbände
Sascha Rasmussen – Standards & Protokolle
Kai Rieke – Online Marketing
Dr. med. Philipp M. Schäfer – Medizin & Gesundheitswirtschaft
Juliane Zielonka – Start-Ups & Entrepreneurship

Die Macher vom Verband digitale Gesundheit (VdigG)

Hallo wir sind das Team vom VdigG und machen #DigitalHealth. (Screenshot Webseite vdigg.de vom 25.8.2014)

Deutlich wird: die meinen es ernst. Man wird in Zukunft sicherlich einiges vom Verband digitale Gesundheit hören.

Der unsichtbare BiM

Auch wenn auf Twitter postuliert, handelt  es sich bei dem VdigG nicht um den ersten Verband für Digital Health in Deutschland.

Es gibt ihn noch: den Bundesverband Internetmedizin. Vor einiger Zeit hatte ich mich schon mal kritisch mit ihm auseinander gesetzt und einige Schwachpunkte aufgezeigt. Es hat sich einiges getan, und die Macher sind bestens vernetzt und bauen weiter ihre Kontakte aus, die sicher den Mitgliedern zu Gute kommen werden. Besonderer Draht besteht zu Kostenträgern und Ärzteverbänden. Aber die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit nach außen bleibt weiterhin schwach. Der letzte Tweet sendet Weihnachtsgrüße- für 2013 – wohlgemerkt (Stand: 26.08.2014).


Statt dessen wurde auf der BiM-Webseite ein Twittermodul implementiert, wo die Tweets einiger BiM Mitglieder aggregiert werden. An sich eine nette Idee. Wenn man dort aber lesen muss, wer gerade wo in welchem #ICE festsitzt oder welches Fußballspiel gerade geschaut wird, bringt das nicht gerade die Internetmedizin nach vorn.

Man beachte: es hat (meines Wissens) noch nie eine durch den BiM organisierte, öffentliche Veranstaltung gegeben [Edit: Im Rahmen des conhIT-Networking Programms gab es den Event „Internetmedizin: Die Zukunft hat begonnen„]. Vermutlich hat der BiM verschlafen, als „First Mover“ klar die Position des Verbandes für „Digital Health“ in Deutschland zu besetzen. Wäre er deutlicher in Erscheinung getreten, hätte sich der VdigG vielleicht gar nicht gegründet. Nun haben wir den Salat: 2 Verbände, die um die Gunst der überschaubaren Neuen Deutschen Welle der digitalen Gesundheitsenthusiasten buhlen. Leider bündelt das allerdings nicht die Kräfte der Szene, sondern zerstückelt sie.

Matchpoint: BiM

Im stillen Kämmerlein hat der Bundesverband Internetmedizin in diesem Jahr fleißig Mitglieder gesammelt. Allein im August sind es 4 neue Mitglieder, die auf dem Blog vorstellt werden. Die 3 Sahneschnittchen und Vorzeige-Startups GodermaCaterna, Novego haben sich ebenfalls diesen Sommer für den Bundesverband entschieden.
Dies spült frisches Geld in die Vereinskasse und wird den BiM vermutlich zu noch mehr Aktion motivieren.

Der VdigG mit ambitionierten Mitgliedsbeiträgen

Und wo wird man nun Mitglied? Wer auf den Preis schaut, landet beim BiM. Für einen neu gegründeten Verband ohne Referenzen bittet der VdigG ganz gut zur Kasse. Aber: die VdigG-Beitragliste ist nicht so ganz klar definiert und regt durch die Reihe von Sternchen und Sonderregeln zum feilschen an;-)

Mitgliedsbeitrag Bundesverband internetMedizin für einvelpersonen und Gesellschaften

Mitgliedsbeiträge Verband digitale Gesellschaft für einzelpersonen, Startups und OrganisationenOhne Zweifel: es herrscht gerade ein reges Interesse von vielen Seite am Thema #digitalhealth. Diverse meetup-Gruppen haben beachtliche Mitgliedszahlen sammeln können.

Berlin Quantified self  (781 Members)
Berlin Health 2.0 ( 605 Members)
STEM 4 Health Berlin (Grants4Apps) (341 Members)
Hacking Health Berlin (141 Members)
Berlin Diabetes and digital Technology (50 Members)

Ihres Events bringen es mittlerweile locker auf 100+ Besucher.
Neuer Rekord: mindestens 250 Besuchern beim Kick-off Grands4Apps Accelerator 2014.


Es stellt sich aber die Frage: wie hoch ist die Conversion Rate von Besuchern der der unzähligen kostenlosen Veranstaltungen zu zahlenden Mitgliedern in einem Verband? So werden VdigG und BiM wohl weiter in Vorlast gehen müssen, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann einmal selber tragen. Dies könnte auch der Grund dafür sein, warum der BiM bisher an Öffentlichkeitsarbeit „gespart“ hat.

Fazit

Ich sehe Potential und Nachfrage für einen „Digital Health-Irgendwas“-Verband in Deutschland. Für Einen meine ich, für Zwei wird die Luft schon ziemlich eng werden.
Daher hoffe ich, dass die beiden Verbände aufeinander zu gehen werden und „die Köpfe zusammen stecken und  gemeinsame Sache“ machen.

Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, bringt das den eigenen Verband, nicht aber die große Sache an sich (nennt es digitale Gesundheit oder Internetmedizin) in Deutschland voran.

Ähnliche Artikel auf medizin-und-neue-medien.de:

Ein Jahr Bundesverband Internetmedizn – oder: warum ich (noch) nicht Mitglied bin

Wirtschaftsrat der CDU ruft Bundesfachkommission Digital Health ins Leben

Das Interview in der Halbzeitpause – David Meinertz von DrEd

logo DrEdDotComAuf dem Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit 2014 hatte ich Gelegenheit ein Interview mit David Meinertz zu führen.Er ist einer der Gründer von DrEd, einem  Telehealth-Startup, dass sich selbst medienwirksam als „die erste deutschsprachige Arztpraxis im Internet“ präsentiert.

Wir führten das Gespräch im Anschluss an die sehr informative und erstklassig besetzte Session zu Entrepreneurship im Gesundheitsbereich. Neben DrEd waren auch Vertreter von den vielversprechenden deutschen Startups Caterna und Novengo dabei.

Haupstadtkongress Entrepreneure Internetmedizin Foto by shari langemak

Foto via twittpic by @slangemak

Nun, ja, genau genommen machten wir das Interview nicht direkt im Anschluss an die Session, denn erst mal war Anstoß des WM-Spiels Deutschland vs.USA. Die Partie wurde auf einer Videowall in der Kongresshalle gezeigt und wir nutzten die Halbzeitpause für das Interview.

Hier der Mitschnitt im O-Ton, darunter eine schriftliche Zusammenfassung und zum Schluss einige persönliche Gedanken zu DrEd:

Zusammenfassung des Interviews

Wie viele Ärzte arbeiten bei euch?
Sechs. Zwei in Vollzeit, der Rest in Halbzeit.

Wie viele Patienten behandelt ihr pro Tag?
400-500 Patienten

Wie verteilen sich die Anfragen der Patienten auf die unterschiedlichen Sprechstunden?
Ein Drittel Frauengesundheit (Verhütung, Blasenentzündung), ein Drittel Männergesundheit (Potenzstörungen) und ein Drittel alles andere, zum Beispiel Malaria Prophylaxe, Heuschnupfen oder ein Folgerezept für Bluthochdruck.

Es könnte der Eindruck entstehen , dass ihr eine Art „virtueller Rezeptblock“ seid. Oder bietet ihr etwas darüber hinaus?
Wir sehen das nicht so, aber in der Tat sind viele unserer Behandlungen medikamentös. Patienten senden uns oft Fotos von Hauterkrankungen, da beraten wir ohne jegliche medikamentöse Therapie. Viele unserer Beratungen enden in einem Rezept, das sehen wir aber nicht als das Entscheidende. Wir liefern zusätzlich Patienteninformationen zu der Erkrankung über die DrEd Patientenakte. Der Patient kann sich zu jeder Zeit telefonisch oder über seine Akte bei uns melden und Fragen stellen.

Es gibt unterschiedliche Formen der Sprechstunde: Online Fragebogen, Telefon oder Video-Chat. Durchläuft der Patient alle 3 Wege oder kann er wählen?
Der Patient wählt den Weg. Die meisten wählen den asynchronen Weg und füllen nur den Fragebogen aus. Wenn dem Arzt noch Informationen fehlen, wird der Patient kontaktiert. Die Behandlungsgebühr ist ein Festpreis, unabhängig davon, welchen Weg der Patient wählt und ob einmal oder zehnmal hin-und-her kommuniziert werden muss.

Gibt man in den Fragebogen „ja“ an, öffnen sich weitere Fragen, gibt man immer „nein“ an, ist man zügig durch den Fragebogen durch. Glaubt ihr, dass Patienten teilweise falsche Informationen angeben, nur um schnell an ihr Rezept zu kommen?
Das können wir nicht ausschließen. wir appellieren an die Eigenverantwortlichkeit des Patienten. Wenn er unbedingt will, kann der Patient auch in der Hausarztpraxis lügen. Unsere Prämisse: wer sein Viagra unbedingt haben will, kann er es auch über dubiose Anbieter direkt im Internet bestellen. Bei uns sind es schon 40-50 Fragen, durch die er beantworten muss. Unser Feedback ist: die Meisten füllen es wahrheitsgemäß aus. Wenn unsere Ärzte Zweifel haben, lehnen wir den Patienten ab und verweisen an den Hausarzt.

Die Online-Fragebögen. Wer es eilig hat, wähle stets "nein". (Screenshot webseite Dred.com vom 1.7.2014)

Beispielhafter Online-Fragebögen, hier für die „Pille danach“. (Screenshot webseite Dred.com vom 1.7.2014)

Wie ist das Verhältnis zwischen Hausarzt und DrEd? Wie erfolgt die Kommunikation untereinander?
Wir sehen uns nicht als Alternative, sondern als Ergänzung. Nicht für jeden Patienten und nicht für jede Erkrankung. Bei jeder Behandlung fragen wir nach dem Hausarzt und informieren ihn, sofern der Patient dies wünscht. Wir können ihn nicht dazu zwingen, weisen den Patienten aber darauf hin, das dies wichtig ist für eine sinnvolle Behandlung. In England sind wir dazu verpflichtet.
In einigen Fällen bekommen wir ein Feedback von den deutschen Hausärzten, aber nicht besonders viel.
Wir modifizieren nicht die Therapie, sondern führen sie nur fort. wir weisen mehrmals darauf hin, dass Änderungen an der Therapie nur durch den Arzt vor Ort erfolgen kann.

Ist man als Patient bei euch immer dem selben Arzt zugeteilt?
Es behandelt immer der, „der gerade Dienst macht“. Allerdings kann der Arzt auf einen Track Record (Online Patientenakte) zurück greifen und sieht dort lückenlos alle Informationen der bisherigen Behandlung über DrEd.

Ist diese Patientenakte einsehbar für den Patient? Sieht der Patient „alles“, oder habt ihr einen nur für euch einsehbaren Bereich?
Ja, der Patient kann seine Akte jederzeit online einsehen. Es gibt auch Felder, die nur von uns befüllt werden und für den Patienten nicht sichtbar sind.

Themenwechsel: Wie habt ihr euch finanziert?
Wir haben anfangs selber Geld rein gesteckt und dann einen Angel Investor aus Hamburg mit rein genommen.

Seid ihr profitabel?
Nein, aber wir sind kurz vor Break-even.

Wo ist euer Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Online-Sprechstunden, abgesehen von dem Punkt, dass ihr in deutsch behandelt?
Unser USP ist, dass wir nicht nur einen europäischen Raum ins Auge fassen. Frankreich ist der nächste große Markt, den wir in Angriff nehmen.
Der zweite ist, dass wir die User Experience und die Patient Journey besonders wichtig nehmen. Wir haben auch unsere mobile Darstellung auf dem Smartphone wesentlich besser gelöst als unsere Wettbewerber. Als wir vor 2 1/2 Jahren gestartet sind, lag die mobile Zugriffsrate bei unter 20%, jetzt sind es rund 50%.
In England haben wir durch Kooperationen mit unterschiedlichen Partnern unsere Prozesse so optimiert, dass wir ein Rezept in 90 Minuten an den Patienten liefern können. Amazon Prime!

Beim Vergleich unterschiedlicher Online-Sprechstunden entsteht der Eindruck, dass alle das selbe Leistungsspektrum haben. Hängt das mit gesetzlichen Vorgaben zusammen oder habt ihr alle „voneinander abgeschaut“?
Das ist nicht ganz richtig. wir sind enger, weil wir medizinisch verantwortlicher sind. Wettbewerber bieten Therapien an zum Beispiel für Depressionen oder Schlafstörungen. Da sagen wir, dass wir als ausschließlich telemedizinisch arbeitende Ärzte dies nicht leisten können. Die 14-jährige Magersüchtige, die weiter ihre Medikamente haben möchte, da nehmen wir uns raus. Regulatorisch ist das zulässig, aber für uns ist das nicht verantwortbare Medizin.

Da kommen vielleicht eure deutschen Wurzeln durch und eure Hemmschwelle liegt höher?
Ich glaube, das ist für uns nicht „Good Medical Practice“. Aber es gibt keinen gesetzlichen Grund, dies nicht zu tun.

Screenshot Dr.Fox

Nicht verantwortungsvolle Medizin? Dr. Fox als eines der „Schawarzen Schafe“? (Screenshot Webseite Dr.Fox vom 1.7.14)

Gibt es also „schwarze Schafe“ in der Szene, von denen ihr euch eventuell auch distanzieren möchtet?
Ja, die gibt es, zum Beispiel  Dr.Fox und healthexpress [Anmk.: auch in deutscher Sprache]. Die geben dem Patienten schon die richtigen Antworten vor um ihn möglichst smooth durch den Fragebogen zu leiten. Die sagen: wenn du diese Antwort gibst, können wir dir kein Rezept ausstellen. Wir bei DrEd haben eine Rückweisungsquote von ca. 20%.  Wir sagen dann dem Patienten, dass wir ihn nicht behandeln wollen, weil wir in seinem Fall keine verantwortungsvolle Medizin praktizieren können.

Die „Care Quality Commission“ ist eine englische Regulierungsbehörde, der ihr unterstellt seid.Wie sieht die Überwachung aus?
Man muss sich registrieren, der Prozess dauert 6-9 Monate. Die Überwachung sieht so aus, dass sie unangemeldete Audits machen. Das ist schon 2 mal vorgekommen. Sie stehen um 9 Uhr morgens bei uns auf der Matte, schauen sich die Patientenakten und unsere klinischen Leitlinien an. Sie hören zu, wie unsere Damen am Telefon mit den Patienten reden und schauen, wie wir die Akten archivieren oder abends wegschließen. Wir gehen davon aus, dass 2014 auch wieder jemand vorbei kommt.

In 2013 gab es sehr viel Kritik in der deutschen Presse. Dr. Montgomery sagte „Diagnose und Behandlung allein über das Internet können nicht im interesse des Patienten sein“ (Quelle). Wie magst du dazu Stellung beziehen?[Jubel aus der anderen Ecke der Kongresshalle. Deutschland geht kurz nach Beginn der 2. Halbzeit mit 1:0 in Führung]
Sie gehen von der deutschen Rechtssituation (Fernverhandlungsverbot) aus. Ich glaube an die Reglung in anderen europäischen Ländern, nämlich das der Arzt selber entscheiden kann, wann und bei welchem Patienten er aus der Ferne behandeln kann und will. Der Arzt kann im individuellen Fall selber am besten beurteilen was richtig ist. In England kann der Arzt aus der Ferne behandeln, wenn er dies für medizinisch verantwortlich hält. Die Schweiz macht das so, ebenso Skandinavien. Wir glauben, dass es sehr viel Behandlungsfälle gibt, bei denen wir sehr sicher eine Behandlung aus der Ferne durchführen können.
In Deutschland kostet die Behandlung beim Arzt erst mal nichts. wir durchbrechen diesen „mindset“. Wir bieten eine besondere Leistung und nehmen dafür Cash, dann muss der Patient diese Leistung auch wert schätzen. Ich denke, man wird die Entwicklung nicht aufhalten können. Wer sich letztlich durchsetzt, wir oder andere Anbieter, man wird es sehen.

Der Berufsverband der Frauenärzte vermeldete „Ein Beratungsgespräch zur Pille danach sollte beim Frauenarzt im schnitt 15-20 Minuten dauern. dabei informieren wir auch über eine mögliche Verschreibung der Antibabypille oder Geschlechtskrankheiten. Das kann ein einfacher Fragebogen nicht leisten“ (Quelle). Stimmt das?
Das ist totaler Quatsch aus zwei Gründen. Erstens: die Realität sieht anders aus. Die Frau geht in die Praxis, wartet,bekommt ihr Rezept in 5 Minuten und muss dann in die Apotheke rennen. Die Frauen geraten in eine sehr unnötige, belastende Situation. Zweitens: wenn die Frau bei uns die „Pille danach“ anfordert, bekommt sie sehr wohl Informationen zu Verhütungsmethoden und Geschlechtskrankheiten. Wir klären sie auf über die Risiken, die die „Pille danach“ mit sich bringt und das sie nicht die normale Form der Verhütung sein kann. Diese Informationen kann die Frau bei uns auch jederzeit wieder abrufen. Die „Pille danach“ ist in 30 europäischen Ländern rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Wir sehen, das Frauen damit im wesentlichen verantwortungsvoll umgehen. Wir möchten nicht am Rezept für die „Pille danach“ verdienen, wir möchten den Frauen einen Zugang geben, dass sie schneller an de „Pille danach“ kommen können. Es ist doch ganz einfach: wenn die Frauen einen guten Zugang zum Gynäkologen hätten, dann würden sie nicht online gehen.

Letzte Frage: beim Vergleich der deutschsprachigen und der englischsprachigen Seite von DrEd fällt auf, dass ihr unterschiedlich kommuniziert. Auf Deutsch steht zum vorzeitigen Samenerguss „Hilfe, wenn sie zu schnell kommen“, auf Englisch ist „last up to three times longer“ zu lesen. Bei Haarausfall steht „Medikamente können Haarausfall verhindern“ einem „Works for nine out of ten men“ gegenüber. Muss man in Deutschland anders kommunizieren, oder warum habt ihr nicht eins-zu-eins übersetzt?
In England ist der Begriff und die Leistung eines „Online Doctor“ schon wesentlich mehr Mainstream. Es ist ein gängigerer Prozess sich online beraten zu lassen oder ein Rezept zu bekommen. Außerdem sind die Engländer mehr „to the point“. Die sehen das eher als Lifestyle und weniger als Medizin. In Deutschland sehen wir das deutlich mehr als ärztliche Leistung. Gesundheitsmärkte sind so unterschiedlich, da muss man sich jeden Markt einzeln ansehen. nicht nur das Angebot, sondern auch die Sprache und die lokalen Gegebenheiten.“Three times longer“ ist für deutsche Adressaten einfach nicht das Richtige.

Kommunikation "to the point". Online-Ärzte werden in England eher als Lifestyle und weniger Medizin verstanden. (Screenshot https://www.dred.com/uk/ vom 1.7.2014)

Kommunikation „to the point“. Online-Ärzte werden in England eher als Lifestyle und weniger als  Medizin verstanden. (Screenshot https://www.dred.com/uk/ vom 1.7.2014)

David, vielen Dank für das Interview und dass Du auch noch über die Halbzeitpause hinaus dabei geblieben bist!.

############

Persönliche Gedanken zu DrEd

Persönlich würde ich einen Arztbesuch einem Onlinedienst vorziehen.Jede Form der Online Kommunikation (Text, Sprache oder Video-Chat), egal ob mit dem Arzt, dem Geschäftspartner oder einem guten Freund, geht mit Informationsverlusten einher und ist grundsätzlich einem Face-to-Face Gespräch unterlegen. So können zum Beispiel Körpersingnale wie Gestik, Haltung, Ausdruck, Mimik nicht oder eingeschränkt wahr genommen werden. Dadurch, dass man sich bei dem Leistungsspektrum von Onlinediensten auf Erkrankungen beschränkt, bei denen diese Faktoren nur eine geringe Rolle spielen, kann das Risiko minimiert werden. Ein medikamentös gut eingestellter Asthma Patient kann sich den Weg zum Arzt sparen,indem er das Folgerezept für sein Asthma-Spray über DrEd bestellt.

Onlinedienste setzt eine Selbstverantwortung des Patienten voraus: er muss selber abschätzen können, ob er in seinem Fall die Online-Variante oder einen realen Arztbesuch vorziehen sollte. Einem chronisch Kranken, der seine Erkrankung gut kennt und gelernt hat mit ihr umzugehen, ist dies sicher zuzutrauen. Dennoch: schaden tut es sicher auch nicht, wenn der Arzt „noch mal einen Blick auf den Patienten werfen“ kann und so die Gelegenheit hat, den Krankheitsverlauf des Patienten zu verfolgen.

Eine Vielzahl der Angebote von DrEd liegt bei den sogenannten „peinlichen Anliegen“ (z.B. Erektionsstörungen, „Pille dannach“ oder Haarausfall). Hier ist es vielleicht weniger Bequemlichkeit als Scham, dass die virtuelle der realen Arztpraxis vorgezogen wird. Argumentiert wird, dass eine Online-Behandlung immer noch besser sei als gar keine Behandlung. Denn diese Gesundheitsprobleme haben bekanntermaßen einen besonderes hohen Leidensdruck und sollten daher nicht unbehandelt bleiben.

Das schnelle, anonyme DrEd-Rezept unterwandert allerdings auch, dass der Patient überhaupt seine Hemmschwelle überwinden muss, um das intime Problem mit dem (Haus-)arzt zu teilten. In diesem Fall wäre vielleicht auch eine Option auf eine ganzheitliche Therapie denkbar gewesen, die über ein Rezept hinausgeht. Macht DrEd also Geschäft mit der Scham des Patienten?

Hin oder her, den Patienten ist dies scheinbar schnuppe. Über die Feedback Möglichkeiten auf der DrEd Webseite kommt seltenst Kritik, die Nutzer bewerten den Service von DrEd sehr gut. So gut, dass selbst David davon „überrascht war“, wie ihm während seiner Präsentation raus rutschte.

Oder ist das klassische Gesundheitssystem von seiner „User Experience“ so schlecht, ist die „Patient Journey“ so frustrierend geworden, dass die schnellen, unkomplizierten und Service-orientierten Onlinedienstleistungen leicht zu Lieblingen der Patienten werden? Dann wäre die Kritik der bestehenden Gesundheitsstrukturen an DrEd & Konsorten nur ein Ablenkungsmanöver von den eigenen Problemen, die letzendlich erst den Nährboden für Geschäftsmodelle wie DrEd liefern.

Fazit

Der Patient nimmt durch Online-Angebote seine Gesundheit zunehmends selbst in die Hand. Er muss sich dabei aber gleichzeitig bewusst sein, dass er damit auch die Verantwortung selber übernimmt. Dieses Bewusstsein muss vielleicht bei dem einen oder anderen erst noch geschaffen werden.

Online-Dienste bieten Nischenlösungen und stellen eine Ergänzung zum bestehenden Gesundheitssystem dar.Sie wollen und können es nicht ersetzen. Von einer vollwertigen, virtuellen Arztpraxis sind wir also (zum Glück?) noch Lichtjahre entfernt. Die „Heilungskräfte“ des Internets sind (noch) beschränkt. Ernüchternd, aber wahr.

———-
Anhang
———-

– Die Folien des Vortrags von David Meinertz auf dem Hauptstadtkongress hat er mir freundlicherweise überlassen und ich habe sie hier hinterlegt.

– Wie im Interview angesprochen, gab es vor nicht ein mal 2 Monaten auch ein sehr informatives Interview von Dr.Johannes mit David: